Einerseits überschüssige Energie, andererseits Dunkelflauten: Der massive Ausbau der Erneuerbaren bringt die Stromnetze an ihre Kapazitätsgrenzen. Um die Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen, ist Wasserstoff (H2) ein ideales Speichermedium. Und er birgt noch weit mehr Potenziale, auch hinsichtlich der Bereitstellung  klimaneutraler Wärme. 

Großwärmepumpen und Solarthermie 

Grundsätzlich unterstützt die Thüga-Gruppe alle Formen einer klimaneutralen Wärmeversorgung. Alexander Hellmann, Leiter des Thüga-Kompetenzteams Erzeugung, und sein Team untersuchen, welche Energieträger sich in der Nah- und Fernwärmeversorgung anbieten. Ein wichtiger Hebel für die Klimaneutralität ist hier die Absenkung der Vorlauftemperatur im Netz. Üblich waren bisher meist 110 Grad Celsius oder mehr. „Schon bei 90 Grad Celsius erweitert sich das Potenzial an Erzeugungsmöglichkeiten“, erklärt Hellmann: „Bei 70 Grad sind große Solarthermie-Anlagen bereits eine Alternative.“ Gerade dort, wo auch der produzierende Mittelstand mit Fernwärme versorgt werden muss, ist die Absenkung aber vielleicht nicht immer möglich. In der Nähe eines großen Gewässers könnte sich dann beispielsweise der Einsatz einer Großwärmepumpe anbieten. In Gebieten mit ausreichendem Geothermie-Potenzial kann auch Erdwärme eine Option sein. Wo weder Geothermie noch Großwärmepumpen infrage kommen, kann es sinnvoll sein, gasbefeuerte Heizkraftwerke weiter zu betreiben und auf klimaneutrale Gase, wie beispielsweise grünen H2, umzustellen. 

Gaskraftwerke als Brückentechnologie 

Die Wasserstoffwirtschaft steht am Anfang, noch ist H2 nicht flächendeckend verfügbar. Doch allein im Bereich Elektrolyseure sind in den nächsten Jahren gewaltige Kostenreduzierungen zu erwarten. Neue Backup-Kraftwerke neben Solar- und Windparks könnten in Zeiten von Überproduktion den grünen Strom in Wasserstoff speichern und dann bei Bedarf wieder bereitstellen. Eine weitere Option für die Bewältigung von Dunkelflauten sind bestehende Kraftwerke, die nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) Strom erzeugen und parallel dazu nutzbare Wärme bereitstellen. Sie sind hocheffizient, hochflexibel – und grundlastfähig. Sie lassen sich innerhalb weniger Sekunden hochfahren, um das Stromnetz bei stark schwankenden Strommengen zu stabilisieren. Letztlich entscheidend für die Infrastrukturplanung ist auch die Industrienachfrage in einer Region. 

Wärmewende mit Wasserstoff 

Mit Partnerunternehmen testet die Thüga den Weg in eine dezentrale Wärmeversorgung mit Wasserstoff. Mit zwei Einspeiseprojekten zeigen die Projektpartner, wie eine bestehende Gasinfrastruktur mit Wasserstoff betrieben werden kann. Im Pilotprojekt H2Direkt stellt die Thüga mit Energie Südbayern (ESB) und Energienetze Bayern ein bestehendes Gasnetz mit zehn Haushalten auf 100 Prozent Wasserstoff um. „Was wir hier in kleinem Maßstab vorführen, kann sich zu einer Blaupause für ganz Deutschland entwickeln“, sagt Béatrice Angleys aus dem Thüga-Kompetenzcenter Innovation. Im Projekt Grüner Heizen als Teil des Reallabors WESTKÜSTE100 sollen rund 200 Haushalte mit bis zu 20 Prozent Wasserstoff im Gasnetz versorgt werden. Ein Ansatz, der fast überall realisierbar ist: Allein die Thüga-Gruppe betreibt rund 90.000 Kilometer Gasverteilnetze in Deutschland. Bundesweit sind derzeit 1.820.000 industrielle und gewerbliche Verbraucher an Gasverteilnetze angeschlossen und hoffen auf eine zukunftssichere Versorgung. 

Gas-Pipeline, Bild: AdobeStock
Bild: AdobeStock

Alle Netze H2 ready? 

Deutsche Verteilnetzbetreiber (VNB), darunter rund 30 Prozent der Thüga-Partnerunternehmen, haben 2022 unter der Regie der Initiative H2vorOrt einen ersten flächendeckenden Gasnetzgebietstransformationsplan (GTP) für Deutschland aufgestellt. Er macht transparent, welche Kunden welchen Bedarf an Wasserstoff haben, ob die Netze technisch geeignet sind für grünen Wasserstoff und wie es mit dessen Erzeugung und Lieferung steht. „Ziel sind investitionsfähige Planungen“, erläutert Florian Leber, Thüga-Kompetenzcenter Netze. Rund die Hälfte der teilnehmenden VNB rechnet damit, bis 2030 regulär Wasserstoff in ihre Gasverteilnetze einzuspeisen. Gerade hier zeigt sich die Stärke der Thüga Gruppe, die das Know-how von Erzeugern und Kommunen, Kraftwerks- und Netzbetreibern bündelt. „Kooperativer denken heißt für uns auch, über Unternehmensgrenzen hinweg zusammenarbeiten“, betont Alexander Hellmann.  

Fit für H2 

Mit dem Strategieprojekt Zielbild H2 hat die Thüga mit einigen Thüga-Unternehmen eine Orientierungsgrundlage erarbeitet, um die nächste Phase der H2-Aktivitäten zu strukturieren. Wichtiges Ziel: H2 stärker im Bewusstsein aller Stakeholder zu platzieren und den H2-Hochlauf auch auf lokaler Ebene voranzubringen. In diesem Rahmen vertritt Thüga die Interessen für energiepolitische Rahmenbedingungen, initiiert Umsetzungsprojekte für eine dezentrale Erzeugung, unterstützt die Wärmewende vor Ort und baut lokale H2-Ökosysteme auf. Doch woher kommt der grüne Wasserstoff? In welchen Gebieten wird er schon in naher Zukunft verfügbar sein – und welche Alternativen bieten sich dort, wo dies nicht der Fall ist? „Ein Großteil der in Deutschland benötigten Mengen wird importiert werden – hier sind wir auf den Ausbau der Hydrogen-Backbone-Infrastruktur angewiesen. Dennoch hat die deutsche H2-Erzeugung ihre Daseinsberechtigung und ambitionierte Ziele von 10 Gigawatt in 2030“, erklärt Béatrice Angleys. 

Fehlender Rückenwind von der EU 

Leider hat sich auf EU-Ebene die klare Definition von grünem Wasserstoff stark in die Länge gezogen. Auch deshalb finden Investitionen in Erzeugungskapazitäten bisher nur schleppend statt. Zusätzlich sorgt der Vorschlag der EU-Kommission zur Entflechtung der Verteilnetze für Unsicherheit. Das sogenannte „Ownership-Unbundling“ untersagt den gemeinsamen Betrieb von Gas- und Wasserstoffnetzen durch einen Betreiber. Jeder Meter Gasleitung, der auf 100 Prozent Wasserstoff umgestellt wird, müsste künftig an einen unabhängigen Dritten verkauft werden.