Gut für das Welt-Klima, schlecht für Europas Wasserstoff-Wirtschaft: Joe Bidens Anti-Inflationsgesetz schürt die Sorge, dass die USA Europa beim Hoffnungsträger H2 davongaloppieren könnten. Lesen Sie hier eine Einordnung von Eva Hennig und Dr. Christian Friebe von der Thüga-Energiepolitik.

Frau Hennig, Herr Friebe, was ist der IRA, Weckruf oder Diskriminierung?

Hennig: Ich sehe den IRA als Weckruf für die EU, zumindest hat er das bewirkt. Für den Wasserstoffsektor in Summe wird der IRA sehr viel bringen, weil viel investiert werden wird – nur leider nicht auf unserem Kontinent.

Friebe: Der IRA umfasst 274 Seiten, nur wenige davon beziehen sich auf Wasserstoff. Deshalb hat es eine Weile gedauert, bis diese hier wahrgenommen wurden. Es handelt sich um ein Klimaschutzgesetz, was per se nicht schlecht ist, ganz im Gegenteil. Fest steht: Die Bedingungen für eine Wasserstoffwirtschaft in den USA sind dadurch sehr investorenfreundlich, vielleicht zu sehr. Solche Rahmenbedingungen werden wir in Europa nicht bekommen. Der IRA eröffnet damit auch ein Stück weit den Wettbewerb zwischen Fördersystemen und Rahmenbedingungen.

Was meinen Sie mit „zu investorenfreundlichen“ Rahmenbedingungen in den USA?

Hennig: Die Aufbruchstimmung, wie wir sie nun in Amerika sehen, wird bei uns im Keim erstickt durch Gesetzgebungsmaßnahmen, die Unternehmen an Investitionen in  Wasserstoffprojekte hindern. Der größte Hemmschuh ist momentan der berühmte Delegated Act, der grünen Wasserstoff definiert. Nach langem Warten hat die EU-Kommission einen Text vorgelegt. Dieser kann nun von Rat und Parlament nur noch angenommen oder abgelehnt werden. Dafür haben beide Institutionen maximal vier Monate Zeit. Die Klarheit hilft in jedem Fall allen H2-Projekten, auch dem Projekt WESTKÜSTE100, an dem die Thüga beteiligt ist. Die Regeln haben sich zwar durch die lange Diskussion etwas verbessert, trotzdem ist die Situation hier kein Vergleich zu den Möglichkeiten, die sich in den USA ergeben. Wir haben das Gefühl, dass kein echter, liquider Wasserstoffmarkt für Europa gewünscht wird. Vielmehr soll Wasserstoff als wertvolles Gut einigen wenigen Kunden zugeteilt werden, am besten vom Staat. Denn eigentlich sollen ja die Moleküle verbannt werden.

Stadtwerke müssen sich aktiv auf Wasserstoff vorbereiten, raten Eva Hennig und Dr. Christian Friebe von der Thüga.

Was hat der IRA Europas Regelwerk voraus?

Friebe: Der IRA ist nicht ideologisch, sondern pragmatisch. Zum Beispiel bei den Tax Credits. Die gab es auch schon davor, sie wurden von einem Jahr zum anderen bewilligt. Die wichtigste Innovation des IRA ist, dass die Amerikaner das deutsche EEG mit seiner langfristig stabilen Förderung betrachtet haben und nun die Tax Credits mit einer Laufzeit von zehn Jahren garantieren, inklusive Anpassung an die Inflation. Jetzt kaufen Private Equitiy Firmen und Vermögensverwaltungen Elektrolyseure von Elektrolyseurherstellern zu einem Zeitpunkt, an dem die Produktionsanlagen dafür noch gar nicht gebaut sind. Sie leisten gerne hohe Anzahlungen, weil das Geld mit der IRA-Förderung inflationssicher angelegt ist. Diese Anzahlungen nutzen die Hersteller für den Aufbau der Produktionsanlagen – ein sehr ungewöhnlicher Mechanismus. Ein großartiger Rückenwind für den Markthochlauf, den ich gerne in Deutschland und Europa gesehen hätte.

Warum gibt sich Europa so investorenunfreundlich?

Hennig: Wir sehen in Europa einen Richtungsstreit zwischen Strom und Wasserstoff, den es so in den USA nicht gibt. Dort haben die Öl- und Gasgesellschaften wesentlich mehr Einfluss, vor allem, seit sie die USA zum größten Gasproduzenten der Welt gemacht haben. In den USA ist Wasserstoff von einer kleinen Nische sehr schnell zu einem Big Business geworden. Wenn dort ein Big Player wie Exxon viele Milliarden in Wasserstoff investieren will, dann wird ihm die Plattform dafür geschaffen. Der Umweltaspekt spielt aber auch in den USA eine große Rolle, gerade seit Biden Präsident ist. In Brüssel, aber auch in Berlin, überwiegt das Mistrauen gegenüber der angestammten Gaswirtschaft. Erneuerbare Gase werden als Erneuerbare zweiter Klasse behandelt, und das ist diskriminierend. Wir haben in Europa zu viele Akteure, die zur sehr auf die Elektrifizierung als alleinige Lösung setzen, anstatt das Gesamtsystem zu sehen.

Und die Zeit drängt?

Friebe: Stadtwerke sind ja sehr leidensfähig bei verzögerten politischen Entscheidungen. Großinvestoren ticken komplett anders als Stadtwerke, sie müssen das Geld ihrer Geldgeber schnell investieren. Wenn dann ein Joe Biden mit dem IRA den Hafen öffnet und zu Investitionen einlädt, geht der Abfluss relativ schnell. Wir haben also durchaus einen Wettlauf mit der Zeit.

Die EU-Kommission hat Gegenmaßnahmen angekündigt – wie stufen Sie diese ein?

Hennig: Strategien haben wir genug, Umsetzung ist wichtig. Mit dem Delegated Act ist ein erster Schritt gemacht, weitere müssen folgen. Die Erzeugung von Wasserstoff und der Bau von Wasserstoffanlagen muss in Europa einigermaßen praktikabel gemacht werden. Noch im Oktober hat sich Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans beschwert, dass von den vielen H2-Projekten, die in Europa auf dem Papier stehen, nur zehn Prozent eine endgültige Investitionsentscheidung getroffen haben. Dieses große Potenzial von innovativen Projekten gilt es nun zu heben.

Aber die EU will doch eine industrielle Basis für saubere Technologien legen?

Friebe: Die EU kümmert sich vor allem um die ganz großen Player. Die Carbon Contracts for Difference oder auch IPCEI- Projekte, also wichtige Vorhaben von europäischem Interesse, finden in Größenordnungen statt, in denen weder eine Thüga noch unabhängige Projektentwickler oder Bürgergenossenschaften mitspielen können. Wir brauchen aus meiner Sicht also ein Instrument, das es normalen Stadtwerken erlaubt, mit vertretbarem Aufwand und in absehbarer Zeit einen Elektrolyseur zu errichten.

 Was können deutsche Stadtwerke aktuell tun?

Friebe: Stadtwerke müssen sich trotz allem jetzt aktiv vorbereiten, um später schnell investieren zu können. Also: Gasnetzgebietstransformationsplan (GTP) machen, H2-Bedarfe mit Kunden absprechen, Machbarkeitsstudien initiieren, deutsche Förderantrage schreiben, Wasserstoffinseln aufbauen. Unsere einzige Chance ist, mit Innovationsprojekten voranzugehen, so wie es schon heute viele Partnerunternehmen alleine oder gemeinsam mit der Thüga machen.

Sehen wir allmählich leichte Ernüchterung beim Hype-Thema Wasserstoff?

Hennig: Nein, das vergangene Jahr war ein Jahr des Wasserstoffs, und es ist positiv, wie viel sich 2022 bewegt hat. Mit dem GTP treten wir den Beweis an, dass Verteilnetzbetreiber die Transformation ihrer Netze wollen und können. Das wird mittlerweile auf politischer Ebene wahrgenommen. Aber es muss noch mehr Wucht rein, wir brauchen dieses Jahr mindestens doppelt so viele Teilnehmer!

Herr Friebe, Sie haben maßgeblich an einem Vorstoß der Gaskoalition mitgearbeitet, die ein Starterprogramm für die deutsche H2-Wertschöpfungskette fordert. Was steht drin?

Friebe: Aus unserer Sicht sollte noch in dieser Legislaturperiode ein 1-Gigawatt-Starterprogramm in Betrieb gehen, wenn wir die zehn Gigawatt bis 2030 schaffen wollen. Damit hätten wir schnell eine Brücke zu längerfristigen Strukturen und Rahmenbedingungen für Wasserstoff. Dafür sollte die Regierung zügig Ausschreibungen starten nach dem Vorbild der Doppelauktionen aus dem H2Global- Mechanismus. Für die Abwicklung gäbe es schon etablierte Institutionen, die H2Global-Stiftung und HINT.CO. Außerdem sollte die Ausschreibung für die Wasserstoffnachfrage allen Nutzungsgruppen und allen Sektoren offenstehen. Und wir hatten vorgeschlagen, dass der Staat die Risiken aus dem Fehlen einer rechtssicheren Definition für grünen Wasserstoff übernimmt. Ob wir diese Klausel am Ende tatsächlich brauchen, werden wir sehen.

Hennig: So können wir dieses Warten durchbrechen. Das setzt die Politik unter Zugzwang, denn mit einem solch konkreten Papier können Abgeordnete beim BMWK anfragen, warum nichts passiert. Hat Dich Herr Habeck schon beglückwünscht zu den Vorschlägen?

Friebe: (lacht) Noch nicht.