Wie kann die grüne Transformation des Wärmesektors gelingen? Zwei Projektbeispiele von Thüga-Partnerunternehmen und der Wärmeleitfaden der Thüga zeigen, wie der  Prozess lokal vorankommt.

1. Gesucht: Belastbare Datenbasis

Die Entwicklung des lokalen Wärmemarktes für die nächste Dekade vorhersagen? Die „lokale Heizstrukturprognose“ zeigt, wie das funktionieren kann.

Die Energie Südbayern (ESB) möchte als regionaler Energieversorger die Zukunft der lokalen Gas- und Wärmeversorgung mitgestalten und die Wärmewende  vorantreiben. Dafür muss der heutige Zustand erfasst werden. „Wir waren erstaunt, wie spärlich die öffentliche Datenlage ist“, berichtet Projektleiterin Martina Schlehhuber. „Selbst verfügbare Daten sind nicht immer valide.“ Gemeinsam mit Thüga hat die ESB eine „lokale Heizstrukturprognose“ als datenbasiertes Steuerungscockpit entwickelt. In einer Sisyphusarbeit wurde die Heizstruktur in Ober- und Niederbayern erstmals mit Infrastrukturkennzahlen, Daten aus  Statistikämtern, energiewirtschaftlichen Kennzahlen, Ablese- und Kaminkehrerdaten und Forschungserkenntnissen erhoben, ausgewertet und lokal aufgelöst.

Modell für alte Ölheizungen

„Nun können wir Handlungsbedarfe und Entwicklungspotenziale aufzeigen“, sagt Dr. Anton Winkler, Co-Projektleiter der Thüga. Und das nicht nur für die ESB: Kommunen können die Modellergebnisse nutzen, um Strategien für die Wärmewende zu erarbeiten. Beispielsweise können der Anteil an Öl-Heizungen und das damit verbundene CO2-Einsparpotenzial belastbar identifiziert und mit Maßnahmen gezielt gesenkt werden. Die ESB als Energieversorger kann passgenaue Lösungen und Perspektiven für die Anforderungen der Gemeinden und für die Bedürfnisse der Bürger:innen entwickeln: Wo kann die bestehende Gas-Infrastruktur für den Ausstieg aus der Heizölverbrennung genutzt oder erweitert werden? Wo können zukünftig grüne Nahwärmenetze entstehen? Auch Marcus Böske, Sprecher der ESB-Geschäftsführung, ist überzeugt: „Besonders spannend ist das Thema alte Ölheizung. Davon gibt es in Südbayern wirklich viele. Das Modell hilft uns, dem anstehenden Sanierungsbedarf gezielt und aktiv begegnen zu können. Ein wertvolles Instrument für strategische Entscheidungen zur zukünftigen Wärmeversorgung vor Ort.“

2. Geplant: Wärme aus dem Fluss

Die Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV) will den südlichen Bereich des Stadtteils Sanderau mit einem neuen Wärmenetz versorgen. Das geschieht über die geschickte Nutzung regionaler Ressourcen aus dem Main.

Die Sanderau ist der am dichtesten besiedelte Bezirk von Würzburg.  zwischen Main und B19 leben dort etwa 14.000 Einwohner auf einer Fläche von etwas über eineinhalb Quadratkilometern. „Die Dachflächen in der Sanderau reichen aber nicht aus, um die Bedarfe über Solarwärme zu decken“, sagt Dr. Andreas Schliemann. „Gleiches gilt für die Option, über Photovoltaik Strom für die Wärmegewinnung zu erzeugen.“ Schliemann ist Referent der WVV-Geschäftsführung und Projektleiter eines  aufsehenerregenden Alternativprojektes: eine Großwärmepumpe, die Wasser aus dem Main abzweigt, Wärmeenergie herauszieht und diese in der Sanderau verteilt. „Selbst im Winter und bei Niedrigwasser transportiert der Fluss enorme Energiemengen“, sagt Schliemann. Sechs Kelvin Temperaturdifferenz entzieht das System dem Wasser. „Über Ammoniak als Kältemittel der Wärmepumpen können wir diesen Temperaturunterschied schließlich mit 70 Grad Celsius in das Netz einspeisen.“

Bald soll eine Großwärmepumpe für Wärme in der Sanderau in Würzburg sorgen.

Kleine Kaltwassermenge

Aktuell läuft die Planungsphase. Bei zehn Megawatt soll die maximale Wärmeleistung in der Spitze liegen. Dazu werden drei Wärmepumpen zusammengeschlossen. „So können wir sie im optimalen Bereich für den Wirkungsgrad laufen lassen. Sollte eine ausfallen oder  Instandhaltungsmaßnahmen anstehen, laufen die beiden anderen normal weiter“, so Schliemann. Das Projekt wird im Allgemeinen sehr positiv aufgenommen. Die im Vergleich zum gesamten Main-Durchfluss geringen Wassermengen, die die Pumpen abzweigen und später einige Grad kälter wieder zurückleiten, machten auf den Fluss betrachtet ein paar Millikelvin aus, rechnet Schliemann vor. „Für die Biologie im Fluss macht das praktisch keinen Unterschied.“ Für die Wärmeversorgung der 14.000 Sanderauer schon.

3. Gedacht: Systematische Hilfe

Der Transformationsprozess hin zu einer kosteneffizienten, umweltgerechten Wärmeversorgung dauert Jahrzehnte. Der Thüga-Leitfaden Wärmestrategie gibt Thüga-Partnerunternehmen Orientierung bei Entscheidungen. 

Eine Wärmestrategie stimmt die lokalen Verbrauchs-, Netz- und Erzeugungsstrukturen optimal aufeinander ab und priorisiert die Umsetzung von Maßnahmen. Was einfach klingt, ist in Wahrheit eine enorme Herausforderung. „Der Lösungsraum ist sehr groß“, sagt der Leiter des Thüga-Kompetenzcenters Netze, Dr. Stephan Nagl. Hinzu kommt das Spannungsfeld zwischen gesetzlichen Verpflichtungen, der Regulierung, der Umsetzung von Klimazielen sowie den Wünschen der Kommunen und Kunden. Kommunen beispielsweise haben für die Versorgung von Neubaugebieten teilweise konkrete Vorstellungen – sowohl in Bezug auf den energetischen Stand der Gebäude als auch auf die Erschließung
mit einem Gas- oder Wärmenetz. Der Versorger ist aber durch den niedrigen Absatz und Anschlussgrad mit der Herausforderung konfrontiert, die Infrastrukturen preisgünstig bereitzustellen. „Umso wichtiger ist es, dass Versorger gemeinsam mit der Kommune eine Wärmestrategie vorantreiben, lokalspezifische Lösungen spartenübergreifend entwickeln und dabei die Transformation der Infrastruktur umsetzen“, sagt Nagl.

Praxisnahe Empfehlungen

„Mit dem Wärmeleitfaden haben wir die Entwicklung des Wärmemarktes eingeschätzt und daraus Empfehlungen abgeleitet“, beschreibt Andreas Hinz aus dem Thüga Kompetenzteam Netzstrategie die Vorgehensweise. „Dabei haben wir uns die Kundenentscheidung für Heizsysteme und energetische Sanierungen sowie die Trends und Szenarien für die Sparten Strom, Fernwärme und Gas angesehen.“ Die Eckpunkte skizziert der Experte folgendermaßen: Langfristig sei mit einer Reduzierung des Raumwärmebedarfes von 20 bis 30 Prozent zu rechnen.  Außerdem würden elektrische Wärmepumpen ihren Marktanteil weiter steigern. Dazu dürften Fern- und Nahwärme an Bedeutung gewinnen und bei der Gasinfrastruktur klimaneutrale Gase perspektivisch dominieren. Neun praxisnahe Empfehlungen für die Thüga-Gruppe haben Hinz und Kolleg:innen zusammengetragen, zum Teil spartenübergreifend, zum Teil netzspezifisch oder mit Fokus auf bestimmte lokale Versorgungssituationen. Damit geht eine Systematik einher, nach der eine lokale Wärmestrategie gut auszuarbeiten ist. Zusammen liefern sie dem Transformationsprozess hin zu einer kosteneffizienten, umweltgerechten Wärmeversorgung eine wichtige Hilfestellung.

Dieser Artikel ist im Geschäftsbericht 2021 der Thüga erschienen, den Sie hier finden.