In Freiburg entsteht eines der größten Neubaugebiete Deutschlands. Dietenbach soll 7.000 bezahlbare Wohnungen bieten und klimaneutral sein. Auf was muss das Stromnetz vorbereitet sein? 

Karla Müller, bei badenovaNETZE verantwortlich für Dietenbachs Gesamtplanung, und Marco Weber, Stromnetzplaner bei badenovaNETZE, geben Antworten.

Haben Sie eine konkrete Vorstellung, für wen Sie im Freiburger Westen planen? 

Müller: Wir reden bei Dietenbach über ein Projekt, das am Ende rund 16.000 Menschen ein neues Zuhause bieten soll. Zwischen den Wohnquartieren wird es Büro- und Gewerbeansiedlungen, Kitas, Schulen und Einkaufsmöglichkeiten geben. Die grundsätzliche Erschließung läuft, die ersten Arbeiten im Bauabschnitt 1 werden 2024 beginnen. Den Abschluss des Projekts mit insgesamt sechs Bauabschnitten peilen wir für die 2040er-Jahre an. Was hier infrastrukturell entsteht, muss eine große Zahl von Lebensentwürfen ermöglichen. Da würden wir deutlich zu kurz springen, hätten wir nur die Zwei-Kind-Familie mit E-Auto im Blick.

Welche sind die entscheidenden Orientierungsmarken für die Planung? 

Müller: Aus badenova-Sicht ist das Ziel, mit Dietenbach insgesamt klimaneutral zu sein, sicherlich die wichtigste Vorgabe. Die Idee: Die vor Ort verbrauchte Energie in Form von Strom und Wärme soll im Wesentlichen auch vor Ort erzeugt werden. Als Energieträger stehen Sonne und Umweltwärme zur Verfügung. Konkret heißt das beispielsweise, dass etwa 60 Prozent der Dachflächen mit PV-Anlagen bestückt sein sollen. Dazu kommen PV-Fassadenmodule für etwa 30 Prozent der Flächen oberhalb des zweiten Obergeschosses. Für die Wärmegewinnung sind die Nutzung von Prozessabwärme und Biogas-Heizkraftwerke vorgesehen. Zusätzlich wird voraussichtlich dem Abwasser durch Wärmetauscher Energie entzogen. Eine dritte Wärmekomponente ist die Nutzung von Grundwasserwärme mittels Großwärmepumpen und wenn möglich von Tiefengeothermie. Das alles wird in einem Niedertemperatur-Nahwärmenetz durch unsere Kollegen von badenovaWÄRMEPLUS gebündelt, im gesamten Stadtteil verteilt und mit dem übrigen Freiburger Wärmenetz verbunden. 

Weber: Bei den PV-Anlagen wird es noch spannend werden, welche Dachflächen wirklich damit ausgestattet und welche doch begrünt oder zu Dachterrassen ausgestaltet werden. Da gibt es gewisse Zielkonflikte. Die Flächenvorgabe für PV steht im Bebauungsplan, mögliche Kapazitäten können wir heute schon einigermaßen genau abschätzen. Wie dann allerdings die späteren Einspeisekonzepte bei den einzelnen Gebäuden aussehen, das können wir nur vermuten. 

Sie sehen keine zentralen Stromspeicher vor? 

Müller: Es wird einzelne Immobilienbetreiber geben, die Batteriespeicher für den selbsterzeugten Strom errichten werden, aber zentral ist da Stand heute nichts vorgesehen.  

Weber: Wenn wir das ganze Stromnetz hierarchisch anschauen, steht am Anfang der Arbeiten das existierende Umspannwerk Brunnmatten. Hier laufen die nötigen Anpassungsarbeiten. Von hier aus werden wir Dietenbach mit mehreren 20 KV-Mittelspannungsringen versorgen. Diese Struktur bringt uns die nötige Ausfallsicherheit. Über das Gelände verteilt wird es zwölf Quartiersgaragen mit Platz für Transformatoren und zusätzliche freistehende Transformatorstationen geben. Sie wandeln die Mittelspannung in Niederspannung, die dann weiter an die umliegenden Gebäude verteilt werden kann. Das ist eine robuste Struktur, die auch in umgekehrter Richtung eine Menge Last aufnehmen kann. Mit ihr müssen wir sicherstellen, dass wir für Wärmepumpen, E-Rad- und E-Auto-Ladestationen in Quartiersgaragen und einzelnen Straßenzügen genug Leistung zur Verfügung stellen können. Wie viele Ladepunkte das sein werden und wo die zur Verfügung stehen, können wir heute nur vermuten. Den größten Bedarf wird es in den Quartiersgaragen geben. Den der Straßenbahnlinie, die das Viertel ans öffentliche Nahverkehrsnetz anschließen wird, können wir dagegen heute schon exakt einplanen. 

Skizze Neubaugebiet Dietenbach aus erhöhter Perspektive; K9 Architekten/Latz&Partner/die-grille aus: Schwerpunktausgabe Infrastrukturen

Wurde überlegt, Energie als Wasserstoff zu speichern? 

Müller: In der Tat war die Errichtung einer Elektrolyse-Anlage auf dem Gelände anfänglich Teil der Planung. Zumal auch von der lokalen Wirtschaft viel Interesse an grünem Wasserstoff bekundet wurde. Bezogen auf das Dietenbach-Projekt, sollte die Abwärme der Anlage sogar 20 Prozent zur Gesamt-Wärmegewinnung beitragen.  

Weber: Im Zuge der weiteren Planung wurde aber klar, dass die Errichtung der Elektrolyseanlage im Industriegebiet mehr Vorteile bringen würde. Der Wasserstoff rückt so näher an seine späteren Verbraucher heran. Und wir entledigen uns des Lkw-Verkehrs, der den Wasserstoff im verkehrsberuhigten Wohngebiet abholen müsste. 

Müller: In Dietenbach wird es keine Gasleitungen für die Wärmeversorgung geben. 

Wird Dietenbach ein intelligenter Stadtteil? 

Weber: Zu der Robustheit des Verteiler- und Transformatoren-Netzes in Bezug auf Entnahme und Einspeisung kommt die Möglichkeit zur Regulierung. Wir werden auf dem Gelände von Anfang an intelligente Messsysteme verbauen. Bei der an sonnigen Tagen zu erwartenden Erzeugungsleistung müssen wir die Möglichkeit haben, die PV-Anlagen zum Schutz des Gesamtnetzes herunterregeln zu können. Wie wir das genau machen, ist noch nicht entschieden. Aber es gibt in Freiburg schon Erfahrungen mit dem drahtlosen Internet of Things. Ein Gateway mittels Router über das eigene Glasfasernetz könnte eine Lösungsvariante sein. 

Müller: Die Parkplatzbelegung per App transparent machen, Füllstände der Müllbehälter messen und kommunizieren, Sensoren in den Grünanlagen, um gegebenenfalls die Bewässerung zu regulieren, die digitale Anbindung von Strom- und Wärmezählern, den Verbrauchern die Möglichkeit geben, von dynamischen Strompreisen zu profitieren: Hier gibt es eine Menge Ideen. Wir gehen davon aus, dass die Affinität der zukünftigen Bewohner sehr hoch sein wird, solche neuen Services zu nutzen. Natürlich ist auch die Stadt interessiert, Services von einer kostenintensiven starren Planung auf eine flexible, bedarfsgerechte und kostengünstigere Variante umzustellen. 

Weber: Das betrifft dann zum Beispiel auch die einzelnen Netzkomponenten und Verbraucher, die sich von selbst melden, wenn Probleme auftreten, und damit eine regelmäßige Kontrollbegehung überflüssig machen. Das Standardbeispiel dafür ist die Straßenlaterne, die automatisiert eine Meldung absetzt, wenn sie nicht mehr wie vorgesehen leuchtet. 

Müller: Eine Menge möglicher Services sind denkbar. Aber das Reden über solche Dinge ist Teil des ganz gewöhnlichen Projektgeschäfts. Iterative Schleifen mit allen Projektbeteiligten sind unser Alltag beim Vorantreiben der Planung. Das geplante Stromnetz ist für solche Möglichkeiten auf jeden Fall offen.