Ein Gespräch über die Herausforderungen der Wärmewende mit Alexander Hellmann, Leiter des Kompetenzteams Erzeugung bei Thüga.

Herr Hellmann, wurde in den vergangenen Jahren der Wärmebereich von der Energiewirtschaft vernachlässigt?
Im Gegenteil. Es wurden massive Anstrengungen zur Dekarbonisierung insbesondere der Fernwärmeerzeugung vorgenommen. Auch wir als Thüga haben ja aktiv die Kohleausstiegsprojekte der Thüga-Gruppe unter anderem in Braunschweig, Kaiserslautern und Pforzheim begleitet. Das ist ein großer und wichtiger Schritt, aber natürlich noch keine vollständige Begrünung der zentralen Wärmeerzeugung. Allerdings stand politisch und auch gesellschaftlich jüngst die Dekarbonisierung der Stromerzeugung im Vordergrund. Wer von erneuerbaren Energien sprach, meinte in der Regel Windenergie oder Photovoltaik. Die verschärfte Klimaschutzgesetzgebung führt nun aber dazu, dass auch der Wärmebereich in den gesellschaftlichen und politischen Fokus rückt. Ohne eine echte Begrünung der zentralen Wärmeerzeugung sind die Emissionsreduktionsvorgaben für die Energiewirtschaft nicht zu erreichen. Und während wir auf der Stromseite seit 2000 das EEG haben, das einen entsprechenden Förderrahmen gesetzt und für einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien gesorgt hat, fehlt uns auf der Wärmeseite ein starkes Förderregime für die vollständige Dekarbonisierung. Die bisherigen Fördermechanismen beispielsweise des Gebäudeenergiegesetzes waren hierfür nicht ausreichend.

Plant die Bundesregierung etwas in der Richtung?
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat bereits im Juli die Förderrichtlinie Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW) vorgelegt. Mit dem Ziel, den Anteil erneuerbarer und klimaneutraler Wärmequellen in den Wärmenetzen bis 2030 auf 30 Prozent auszubauen.

Aber das ist doch gut, oder?
Noch ist die neue Richtlinie nicht beschlossen. Aus unserer Sicht ist schon der Entwurf noch ausbaufähig: Das Fördervolumen ist mit rund 300 Millionen EUR pro Jahr mit einer strengen Limitierung der Förderung von Einzelmaßnahmen zu gering für die notwendige Transformation. Die Schwellen wiederum, um an die Förderung zu kommen, sind hoch. Zudem sind die Förderungen, beispielsweise für Biomasse, gedeckelt. Dennoch benötigen wir dringend einen starken Fördermechanismus! Nun liegt es also auch an unserer Verbandsarbeit, dieses Programm zu stärken. So hat unter anderem die Thüga-Stabsstelle Energiepolitik den Ampelparteien Leitlinien für die Koalitionsverhandlungen an die Hand gegeben, in denen wir die Unverzichtbarkeit eines starken Förderregimes für die Begrünung der Wärmeerzeugung unterstreichen.

Foto: N-ERGIE

Fernwärmerohre in Nürnberg. Foto: N-ERGIE

Ohne ein Förderprogramm ist es für kommunale Energieversorger wirtschaftlich schwierig, in eine Begrünung in der zentralen Wärmeerzeugung zu investieren?
Jein. Es ist ein gewisses Dilemma, in dem wir uns befinden. Denn auch nicht zu dekarbonisieren, ist aufgrund steigender CO2-Kostenbelastung (auch bei Weitergabe dieser Kosten an die Endkunden) wirtschaftlich keine Alternative. Die Krux ist es, durch die – oder auch trotz einer – investitionsintensiven Dekarbonisierung der Fernwärmeerzeugung weiterhin marktfähige Endkundenpreise anbieten zu können. Eine Förderung führt dabei nicht automatisch zu einer marktfähigen Preisgestaltung in Richtung Endkunde. Sie kann aber durchaus den nötigen wirtschaftlichen Anreiz und die Investitionssicherheit für eine Transformation hin zur klimaneutralen Wärmeversorgung geben. Schauen wir auf ein Beispiel aus der Gruppe: die Stadtwerke Mühlhausen, die im September die größte Solarthermieanlage Thüringens in Betrieb genommen haben. Ohne eine Förderung aus dem europäischen Fonds für regionale Entwicklung hätte diese Investition wohl eine Preiserhöhung beim Endkunden nach sich gezogen und dieser wichtige Pionierschritt in Richtung grüner Fernwärme wäre unterblieben. Mit einem starken Förderregime kann die neue Bundesregierung nun die nötige Grundlage für viele weitere Schritte hin zur klimaneutralen Fernwärme schaffen.

Die Dekarbonisierung im Strombereich funktioniert. Warum sind wir im Wärmebereich nicht schon genauso weit?
Der Wärmemarkt ist wesentlich komplexer als der Strommarkt. Genau das macht ihn in meinen Augen aber auch so spannend! Strom kann ich – vereinfacht gesagt – in gleicher Qualität irgendwo erzeugen und über große Strecken mit wenig Verlust transportieren. Bei der Wärme ist stets das komplexe Zusammenspiel aller Wertschöpfungsstufen zu berücksichtigen. Zum Beispiel kann ich die Wärme für ein bestehendes Fernwärmesystem nicht mit beliebig verschiedenen Energieträgern erzeugen, weil Kunden oder die Netzinfrastruktur unterschiedliche Anforderungen beispielsweise an die Vorlauftemperaturen haben.

Was bedeutet das konkret?
Zum einen erreiche ich mit den Brennstoffen Kohle und Gas höhere Temperaturniveaus als beispielsweise mit Solarthermie. Auch Großwärmepumpen oder Abwärmequellen lassen sich nicht immer ohne weiteres in eine bestehende Netzinfrastruktur integrieren. Und am Ende stellt sich auch die Frage, ob die Anwendungsfälle der Endkunden mit niedrigeren Netztemperaturen bedient werden können, ob die Liegenschaften der Kunden für andere Temperaturniveaus ertüchtigt werden können und zu welchen Kosten. Wärme lässt sich also sehr viel schwerer skalieren als Strom, weil ich bei der Wärme immer die gesamte Wertschöpfungskette lokal vor Ort beachten muss: Ich muss meine Kunden kennen, ich muss das Netz kennen und ich muss die Erzeugungsmöglichkeiten kennen.

Was kommt jetzt auf die Stadtwerke und Energieversorger zu?
Sie stehen vor der Herausforderung, in Anbetracht der steigenden CO2-Kostenbelastung ihren Kunden weiterhin attraktive Produkte anbieten und dabei so weit wie möglich bestehende Infrastrukturen weiterhin nutzen zu können. Das gilt ganz unabhängig vom oben genannten Förderrahmen. Wir unterstützen bei unterschiedlichen Schritten im Transformationsprozess: Hilfestellung gibt der gemeinsam von Thüga und einzelnen Partnerunternehmen entwickelte Wärmeleitfaden. Auch bei der Wärmepreisoptimierung und in Wärmestrategieprojekten unterstützen wir unsere Partnerunternehmen von der kurzfristigen Weitergabe von CO2-Kosten bis hin zur Bewertung und Umsetzungsvorbereitung von Begrünungsoptionen für die Wärmeerzeugung.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten: Welche wären das?
Erstens, dass der bezahlbare Hochlauf klimaneutraler Gase gelingt. Zweitens, dass wir es schaffen, Erdgas, solange wir es noch brauchen, wirtschaftlich darstellbar nutzbar machen zu können. Das erfordert, dass das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz noch über 2029 hinaus Bestand hat. Und ich wünsche mir, dass es uns gelingt, die Begrünung der Fernwärme durch die Investitionssicherheit eines starken Förderrahmens schnell, wirtschaftlich nachhaltig und für Endkunden bezahlbar umzusetzen.