Ein neuer Entwurf des EU-Lieferkettengesetzes schreckt die deutsche Industrie auf: Auch Unternehmen aus ressourcenintensiven Branchen mit 250 Beschäftigten und einem Umsatz von 40 Millionen Euro fallen künftig unter die Regelungen. Damit gehört ein größerer Teil der Thüga-Stadtwerke in diese Kategorie. 

Zwar muss der EU-Kommissionsvorschlag noch das europäische Rechtssetzungsverfahren durchlaufen. Danach müssen die Mitgliedstaaten aber die Vorgaben innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. Also könnten auch Thüga und Stadtwerke sehr schnell damit konfrontiert werden. Die Unternehmen würden verpflichtet, in ihren Lieferketten laufend die Anforderungen aus dem Sorgfaltspflichtengesetz in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz sicherzustellen.

„Brauchen Rechtssicherheit“

Dr. Alexander Miehr, Leiter Materialwirtschaft der Thüga, analysiert momentan gemeinsam mit einem Team des BDEW, welche neuen Aufgaben dadurch zusätzlich unmittelbar auf die Thüga zukommen. „Wir brauchen Klarheit über diese Anforderungen, um Rechtssicherheit für uns und unsere Partnerunternehmen gewährleisten zu können“, sagt Miehr.

Deswegen plant er mit Matthias Schöffing von der badenova ein deutschlandweites Netz von Nachhaltigkeits- und Lieferketten-Experten als Multiplikatoren im Bereich Materialwirtschaft aufzubauen. Ihr Ziel: neben dem Multiplikatoren-Netzwerk auch ein gruppenweites Angebot an Weiterbildungen und Zertifizierungen anbieten.

Ausschnitt aus dem Thüga-Nachhaltigkeitsprogramm.
Ausschnitt aus dem Thüga-Nachhaltigkeitsprogramm mit den Zielen zur Lieferkette bzw. Beschaffung: Insgesamt 26 Ziele hat sich die Thüga gegeben, hier finden Sie alle Ziele ab S. 25 im Thüga-Nachhaltigkeitsbericht

Das Bewusstsein in allen Unternehmensbereichen aufbauen

Für das Programm verantwortlich ist bei der Thüga-Materialwirtschaft Christiane Holzapfel. Sie empfiehlt, den Schritt zur Nachhaltigkeit als Chance zu nutzen: „Wichtig ist mir, von Anfang an alle Unternehmensbereiche einzubeziehen. Regulatoren, Kunden und Investoren fordern überprüfbare Nachhaltigkeit. Darauf nicht einzugehen, stellt ein geschäftliches Risiko dar.“

Angebot für die ganze Thüga-Gruppe

In einer ersten Testphase soll ein ausgewählter Kreis von Mitarbeitenden der Thüga und der Partnerunternehmen in Nachhaltigkeit und zur Lieferkette geschult werden. Holzapfel: „Danach wird das Angebot der ganzen Thüga-Gruppe zur Verfügung stehen. In einem dritten Schritt werden wir die Schulungen auch externen Lieferanten oder Dienstleistern anbieten, um sicherzustellen, dass auch dort die Lieferkette funktioniert.“

Matthias Schöffing von der badenova ergänzt: „Ich möchte nicht nur, dass wir alle das Gleiche unter Begriffen wie Risikomanagement, Präqualifikationen, Beschwerdemechanismen oder Mindestlohn verstehen. Sondern dass wir ein gemeinsames Bewusstsein für eine nachhaltige Lieferkette aufbauen.“

PV-Modul, Quelle: Samuel Faber by Pixabay.
Oft nur auf den ersten Blick „aus Deutschland“: PV-Module werden in Deutschland zertifiziert, oft aber im Ausland hergestellt.

Im Zweifel: Lieferkette sehr genau ansehen

Eine große Herausforderung ist es festzustellen, ob an irgendeiner Stelle der Lieferkette Probleme in Bezug auf Menschenrechte oder Umweltschutz existieren. Dazu muss man nachforschen, wer ein Produkt wirklich herstellt. Wird ein PV-Modul beispielsweise von einem in Deutschland ansässigen Geschäftspartner beschafft, so kann es sein, dass nur der letzte Schritt, die Zertifizierung, in Deutschland erfolgte. Die eigentliche Produktion fand aber nicht in Deutschland statt. Was in diesem Beispiel naheliegend erscheint, ist nicht immer so klar ersichtlich. Für die Lieferkettenbetrachtung ist es aber entscheidend. Als Einkäufer müsse man deswegen sehr wachsam sein, sagt Miehr: „Wenn berechtigte Zweifel bestehen, dass es in einer der vorgeschalteten Stufen zu Verstößen kommen könnte, sind wir bereits heute verpflichtet, diese Fälle nachzuverfolgen“.

Durch den Ukraine-Krieg muss der Thüga-Einkauf aktuell zusätzlich die Anforderungen der Bundesregierung sehr genau beobachten und bewerten, um zwischen den Notwendigkeiten der Sektorenverordnung, des Importembargos und des Lieferkettengesetzes bestehen zu können.