Die Wärmewende? Wurde lange verschlafen. Doch jetzt schrillen die Alarmglocken. Mit der Kommunalen Wärmeplanung (KWP) sollen die Klimaziele erreicht werden: eine Mammutaufgabe für alle Beteiligten, wie Alexander Hellmann (Thüga-Kompetenzteam Erzeugung) und Andreas Hinz (Thüga-Kompetenzteam Netzstrategie) erläutern.

Herr Hellmann, weshalb ist die Kommunale Wärmeplanung für die Thüga-Gruppe und ihre Kommunen so wichtig? 

Hellmann: Die KWP wird das zentrale und rechtsverbindliche Instrument sein, um die Zielvorgaben der Klimaneutralität zu erreichen. Eigentlich wollte die Regierung den Entwurf für ein Rahmengesetz bereits letztes Jahr verabschieden, durch den Ukraine-Krieg hat sich die Entscheidung aber verzögert. Tritt die KWP in diesem Jahr bundesweit und hoffentlich einheitlich in Kraft, müssen voraussichtlich Kommunen mit über 10.000 Einwohnern innerhalb von drei Jahren einen Wärmeplan erstellen und anschließend umsetzen. Davon sind insbesondere auch die vor Ort ansässigen Energieversorgungsunternehmen betroffen. 

Zuallererst sind aber die Kommunen verpflichtet, sich um Planung und Umsetzung zu kümmern? 

Hellmann: Richtig. Sie erhalten den verbindlichen Auftrag von ihrem Bundesland. Eine KWP ist ein gewaltiges Projekt, das viele Stakeholder einbindet. In einem ersten Schritt müssen sich Kommunen zunächst einen Überblick über den Status Quo der Wärmeerzeugung und des Wärmeverbrauchs vor Ort verschaffen und diese Daten dokumentieren. Dann muss eine Potenzialanalyse folgen. Also: Wo könnte ich Wärmeerzeugung grüner gestalten oder wie kann ich Wärmeverbrauch reduzieren? Anhand dieser Ergebnisse lassen sich dann Szenarien entwickeln, wie man die Zielvorgaben für die Klimaneutralität erreicht. Daraus werden eine Handlungsstrategie abgeleitet und entsprechende Maßnahmen durchgeführt. 

Was müssen die Energieversorger beachten, Herr Hinz? 

Hinz: Für uns als Thüga ist es zunächst sehr wichtig, dass unsere Partnerunternehmen die Bedeutung der KWP frühzeitig realisieren und sich mit dieser Herausforderung auseinandersetzen. Denn egal, welche Rolle EVU bei der KWP einnehmen – sie wird sich auf ihre Gas-, Strom- und Fernwärmeinfrastrukturen auswirken. Wir empfehlen, die Mitgestaltung der KWP als Projekt vorzubereiten, das auf der Top-Management-Ebene des EVU initiiert wird. Unsere Partnerunternehmen sollten intern klären, wie sie ihre Geschäftsfelder spartenübergreifend ausrichten und weiterentwickeln, um die Klimaziele in der Kommunen zu erreichen.  

Welche Rollen können denn die EVU spielen? 

Hinz: EVU werden gesetzlich verpflichtet, Daten für die KWP zu liefern. Energieversorger sind somit mindestens Datenlieferanten für die Kommune. Also: Länge des Gasnetzes, Anzahl an Anschlüssen und so weiter. Nur diese Rolle einzunehmen wäre aus unserer Sicht aber nicht zielführend. Denn jedes EVU sollte daran interessiert sein, eigene Vorstellungen einer klimaneutralen Wärmeversorgung einzubringen und umzusetzen. EVU können die Planung mitgestalten, als aktiv beteiligter Akteur, als beauftragter Dienstleister für die Erstellung des Wärmeplans und als Umsetzer von Maßnahmen: herausfordernde und arbeitsintensive Rollen, die Ressourcen binden und Know-how erfordern. Diese Rollen bieten jedoch auch erhebliche Chancen für EVU. 

Ein neues Geschäftsmodell für die Partnerunternehmen? 

Hinz: Insbesondere für Flächenversorger, ja. Energie Südbayern und energie schwaben sind bereits dabei, sich in diesem Feld aufzustellen. Spannend. Aber egal, welche Rolle ich als EVU einnehmen will: Das Wichtigste bei der KWP ist ein zeitlich klug gesetztes und koordiniertes Vorgehen gemeinsam mit der Kommune. 

Warum? 

Hellmann: Weil eine nicht ausreichende oder zu späte Kommunikation fatale Folgen für die EVU haben kann. Nehmen wir den Fall eines großen Stadtwerks, das eine Strategie zur Klimaneutralität aufgesetzt hat. Als das Stadtwerk sich mit dem zuständigen städtischen Klimareferat dann zur entwickelten Strategie austauschen wollte, erhielt es nur eine dankende Absage: Man sei schon dabei, gemeinsam mit einem Dienstleister eine Strategie für die Wärmeerzeugung aufzusetzen und käme nach Abschluss des Prozesses wieder auf das EVU zurück. 

Was für ein Gau! 

Hellmann: Allerdings. Ein anderer Fall: Ein Partnerunternehmen bekundet gegenüber der Kommune das Interesse, die KWP vor Ort durchführen und sich an einer Ausschreibung beteiligen zu wollen. In den Vergabekriterien für die KWP hält die Kommune dann allerdings “überregionale Erfahrung in der KWP” als zentrales Vergabekriterium fest. Das lokal tätige Versorgungsunternehmen hatte somit im Wettbewerb keine Chance mehr. 

Eine offene, transparente Kommunikation scheint das A und O zu sein? 

Hellmann: Auf jeden Fall! Mit dem Workshopformat “Fit for KWP”, dem Thüga-Leitfaden zur KWP, Webinaren und Fachvorträgen im Rahmen von AR-Sitzungen wollen wir Geschäftsführungen und kommunale Akteure gleichermaßen für die KWP sensibilisieren und einen offenen Dialog anstoßen. 

Welche Auswirkungen hat die kommunale Wärmeplanung auf die Partnerunternehmen? 

Hinz: Die KWP wird nicht spurlos an unseren Partnerunternehmen vorbeigehen. Die KWP ist Orientierung für alle Akteure vor Ort. Auf dieser Basis sollen Investitionsentscheidungen getroffen werden. Es wird je Quartier dargestellt, wie eine klimaneutrale Wärmeversorgung zu erreichen ist und welche Infrastrukturen dafür notwendig sind. Die Auswirkungen sind dabei so individuell wie unsere Partnerunternehmen. Sie hängen maßgeblich von der aktuellen Versorgung, Wärmepotenzialen und dem angestrebten Zielbild ab und gehen oft mit einem hohen Investitionsbedarf einher. Zudem können unter den Strom-, Gas- und Wärmeinfrastrukturen Verwerfungen entstehen, da zum Beispiel bestimmte Technologien in Vorranggebieten favorisiert werden. 

Das heißt, wir reden auch über hohe Investitionskosten? 

Hinz: Richtig. Akteur kann die öffentliche Hand sein, ein Gebäudebesitzer, ein Industriebetrieb und natürlich das EVU. Sie alle sind von der KWP betroffen und müssen investieren, um den Wärmeplan umzusetzen. Bei großen EVU sprechen wir von Investitionsbedarfen im vierstelligen Millionen-Bereich bis zur Erreichung der Klimaneutralität! Es betrifft in jedem Fall das Kerngeschäft eines EVU, wenn beispielsweise das vorhandene Erdgasnetz in bestimmten Gebieten durch ein Wärmenetz mit klimaneutraler Erzeugung ersetzt wird. EVU müssen sich in diesem Zusammenhang immer stärker die Frage stellen, in welche Infrastrukturen und Geschäftsfelder sie investieren wollen beziehungsweise müssen. 

Das alles klingt sehr herausfordernd und arbeitsintensiv

Hellmann: Fest steht, dass an den entscheidenden Stellen Fachkräfte fehlen. Gemeinsam mit Partnerunternehmen haben wir benötigte Personalressourcen für die Transformation des Wärmesektors ermittelt und auf die gesamte Gruppe skaliert. Im Ergebnis fehlen der Gruppe beispielsweise mindestens 100 Ingenieur:innen. Wir können diese gewaltige Transformation nicht allein bewältigen – alle Akteure müssen an einem Strang ziehen. Die Workshops, die wir als Thüga durchführen, oder unser Leitfaden sind nur ein erster Schritt. 

Wie sieht der nächste aus? 

Hellmann: Die Frage lautet grundsätzlich: Wie können wir als Thüga unsere Partnerunternehmen bei der KWP und weiteren zentralen Herausforderungen der Wärmewende unterstützen? Wir möchten hierfür gezielt Partnerschaften im Markt suchen und Kooperationsmodelle schmieden. Mit ersten Anbietern sind wir bereits im Austausch. Ich denke, solche Kooperationen werden künftig Standard sein, um den komplexen Aufgaben gerecht zu werden.