Prozesskostengemeinschaften bündeln Expertise und Kosten, um die Energiewirtschaft voranzubringen. Die Thüga zeigt, wie gemeinsames Vorgehen nicht nur die Regulierung kritisch begleiten, sondern auch Chancen für die Energiewende schaffen kann.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2021 hat der Bundesnetzagentur (BNetzA) eine neue Rolle gegeben. Es stärkt ihre Unabhängigkeit und führt gleichzeitig zu tiefgreifenden Veränderungen in der Regulierung. Zahlreiche Neuregelungen müssen im Rahmen der „NEST“-Prozesse – Netze. Effizient. Sicher. Transformiert. – von der Behörde anstelle bisher gültiger Verordnungen erlassen werden. Dr. Florian Pfeifle, stellvertretender Leiter des Kompetenzcenters Recht bei der Thüga, erklärt: „Die Festlegungen regeln zentrale Fragen für künftige Strom-/Gas- und Wasserstoffnetze. Nicht mit allen Vorschlägen der BNetzA sind wir einverstanden. Der weitgehende Wegfall gesetzlicher Vorgaben für die Behörde muss einhergehen mit einer intensiveren gerichtlichen Überprüfbarkeit.“ Die komplexen Regelungen umfassen unzählige Seiten an Begründung. Es wäre ineffizient, wenn jedes Partnerunternehmen jede Festlegung selbst prüfen und eigene rechtliche Bewertungen entwickeln müsste. Stattdessen übernimmt die Thüga diese Aufgabe. Ihre Fachleute prüfen die Dokumente, formulieren Empfehlungen und bereiten bei Aussicht auf Erfolg Klage- oder Einspruchspapiere vor.

Gemeinsam zu mehr Wirkung

Ein aktuelles Beispiel für Synergien im Thüga-Netzwerk sind die Prozesskostengemeinschaften zur Eigenkapitalverzinsung. Seit 2023 bündelt die Thüga über 100 Klagen gegen die von der BNetzA festgelegten Zinssätze der vierten Regulierungsperiode. Diese Zinsen sind in regulierten Märkten eine zentrale Größe, da sie den Gewinn der Unternehmen maßgeblich bestimmen. „Wenn der Eigenkapitalzins zu niedrig ausfällt, fehlen den Partnerunternehmen Mittel, die dringend für die Finanzierung der Energiewende gebraucht werden“, erklärt Pfeifle. Die Zinssätze in Deutschland liegen im europäischen Vergleich deutlich am unteren Ende – ein gravierender Nachteil für ein Land, das auf Investitionen in eine leistungsfähige Netzinfrastruktur mehr denn je angewiesen ist. Ein erster Zwischensieg vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf brachte Hoffnung, doch der Bundesgerichtshof wies die Klage im Dezember 2024 ab. Pfeifle betont: „Das war ein Rückschlag. Wir haben für dieses Szenario aber bereits weitere Verfahren anhängig, die ersten werden Mitte 2025 vor Gericht verhandelt.“ Ziel ist es, eine faire Verzinsung zu erreichen, die den Marktbedingungen und der eingetretenen „Zinswende“ gerecht wird. Für die Thüga-Gruppe geht es hierbei um dreistellige Millionenbeträge.

Produktivitätsfaktoren unter Druck

„Mit dem Produktivitätsfaktor schafft die BNetzA einen Anreiz, dass Unternehmen ihre technischen Systeme auf dem neuesten Stand halten“, erläutert Pfeifle. Denn dieser soll die erwartete Produktivitätssteigerung eines Wirtschaftssegments während einer Regulierungsperiode abbilden. Doch äußere Ereignisse können solche Planungen durchkreuzen. Ein aktuelles Beispiel sind die erheblichen Kostensteigerungen infolge des Ukraine-Kriegs. „Die angenommenen Produktivitätsfortschritte der dritten Regulierungsperiode sind aufgrund der geopolitischen Lage ausgeblieben“, ordnet Pfeifle ein. „Den Thüga-Partnerunternehmen entgingen durch die Regulatorik ohne sachlichen Grund 150 Millionen Euro an Erlösen.“ Wie können solche unverschuldeten Einflüsse ausgeglichen werden? Die Thüga prüft derzeit mögliche rechtliche Schritte, um die Interessen der Partnerunternehmen zu wahren. Ebenfalls wird die Festlegung des Faktors zur vierten Regulierungsperiode in einer Prozesskostengemeinschaft gerichtlich angegriffen.

Die BNetzA kritisch begleiten

Die Bundesnetzagentur stützt ihre Entscheidungen auf komplexe Beteiligungsverfahren. In der methodischen Anwendung genießt sie nach der derzeitigen Rechtsprechung weitreichende Spielräume. Problematisch wird es, wenn sie systematisch die für die Unternehmen ungünstigsten Annahmen trifft. „Effektiver Rechtsschutz erfordert zumindest, unangemessene und unplausible Ergebnisse einer nochmaligen Kontrolle zu unterziehen“, erklärt Pfeifle. „Wo nötig schreiten wir ein, um eine faire Behandlung unserer Partner sicherzustellen.“ Bei Regulierung geht es neben rechtlichen Fragen immer auch um ökonomische Bewertungen. Für Pfeifle ist daher die Fachexpertise, die Thüga in allen Bereichen vorhält, äußerst wertvoll.

Breitere Anwendung

Prozesskostengemeinschaften eignen sich nicht nur für Themen der Netzregulierung. Die Thüga unterstützt ihre Partnerunternehmen auch bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, etwa bei mangelhaften Lieferungen oder bei Kartellverfahren. Ein aktuelles Beispiel ist ein Rechtsgutachten zur Transformation der Gasnetze, das die Thüga mit mehreren Partnerunternehmen in Auftrag gegeben hat. Dieses Gutachten definiert die rechtlichen Rahmenbedingungen, die notwendig sind, um die angestrebte Energiewende durch den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft voranzubringen. „Auch in diesem Fall geht es um viele Millionen Euro. Unter unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen drohen klimapolitisch notwendige Investitionen auszubleiben“, warnt Pfeifle.

Dieser Beitrag ist im Thüga-Jahresbericht 2024 erschienen. Erfahren Sie hier mehr!