Als Anfang September der Europäische Gerichtshof seine Entscheidung traf, sparte die Presse nicht mit drastischen Kommentaren zum Urteil. Übertrieben? Nein – auch das Kompetenzcenter Recht der Thüga beobachtet die Entwicklung um das Urteil des EuGH zur Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur kritisch.

Das oberste Gericht der EU hat entschieden, dass die Bundesnetzagentur als unabhängige Kontrolleinrichtung allein bestimmen soll, wie sich die Kosten für das Durchleiten von Strom und Gas berechnen. Nötig ist laut Urteil eine „völlige Unabhängigkeit“ der Regulierungsbehörde – auch vom nationalen Gesetzgeber. „Wir sehen hier einen grundlegenden Widerspruch zu den deutschen Verfassungsprinzipien, konkret dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip“, sagt Dr. Florian Pfeifle vom Kompetenzcenter Recht (RE). „Das ist ein epochaler Paukenschlag.“ Eine Kernaussage des Urteils: Das EU-Recht selbst gibt einen detaillierten Regulierungsrahmen vor. Das sehen Pfeifle und seine Kolleg:innen skeptisch: „Das EU-Recht ist, verglichen mit den heutigen Anreizregulierungs- und Netzentgeltverordnungen, tatsächlich sehr holzschnitzartig und voller unbestimmter Rechtsbegriffe wie ,Lebensfähigkeit der Netze‘ oder ,Angemessenheit‘“, sagt er. „Was überhaupt noch national geregelt werden darf, ist nach dem Urteil noch haarklein herauszuarbeiten.“

Wie geht es weiter?

Deutschland ist verpflichtet, dem EuGH-Urteil baldmöglichst Rechnung zu tragen. Allerdings ist der zeitliche Rahmen derzeit noch völlig offen. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass die gesamte vierte Regulierungsperiode nach altem Recht abgewickelt wird“, so Pfeifle. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die EU-rechtswidrigen Regulierungsvorschriften bis zu einer nationalen gesetzlichen Neuregelung weiterhin anwendbar bleiben. „Sicher ist, dass im Rechtsrahmen der Strom- und Gasnetzregulierung buchstäblich kein Stein auf dem anderen bleiben kann“, sagt Pfeifle. „Die BNetzA wird inhaltlich einen deutlich größeren Spielraum bekommen und organisatorisch sowie hinsichtlich ihres Auftrags neu ausgerichtet. Momentan lässt sich noch nicht absehen, in welche Richtung sich das wirtschaftlich für unsere Partnerunternehmen auswirkt.“ Sicher ist auch, dass Thüga
sich in den Prozess aktiv einbringen wird, das Regulierungssystem neu zu gestalten. Einerseits über die Verbände und auch über die Thüga-Stabsstelle Energiepolitik. Und wer weiß: „Bei solch einem grundlegenden Neustart gibt es möglicherweise auch Chancen“, hofft Pfeifle.