Das EU-Klimapaket „Fit for 55“ steht im Fokus der Thüga-Energiepolitik. Denn viele Details haben starke Auswirkungen auf das Kerngeschäft der Partnerunternehmen.

Nein, „Fit for 55“ ist kein angesagtes Fitnessprogramm für 55-Jährige. Aber das Gesetzespaket, das die EU-Kommission im Juli auf das Brüsseler Parkett geworfen hat, ist trotzdem ein extrem sportliches Unterfangen: Damit sollen das bereits vom EU-Parlament und -Rat verabschiedete Klimaziel von 55 Prozent Reduktion der Gesamt­emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 und die Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 durchgesetzt werden.

Dabei ist „Fit for 55“ nur der erste Teil von Gesetzen, mit dem sich ganz Brüssel in den nächsten Monaten befasst. Eva Hennig, Leiterin der Thüga-Stabsstelle Energiepolitik Brüssel, ist Herausforderungen gewohnt. Doch bei den 13 Gesetzesentwürfen empfindet sie Respekt: „Sie enthalten viele Elemente, die sehr relevant sind für das Kerngeschäft der Thüga-Gruppe.“ Ihre Aufgabe und die ihres Teams ist es nun, für die anstehenden Konsultationen und die Diskussion in Parlament und Rat das Material akribisch durchzuarbeiten, wichtige Punkte für die Thüga-Gruppe herauszufiltern, diese zu analysieren und Änderungsvorschläge zu formulieren.

„Wir müssen uns gut vorbereiten“

Doch „Fit for 55“ hat einen großen Haken, erklärt Hennig: „Denn egal, welche Änderungsvorschläge wir, Parteien, Verbände oder NGOs bei den Konsultationen einbringen: Am Ende muss das Gesamtziel minus 55 Prozent in 2030 herauskommen.“ Deshalb fokussiert sich ihr Team darauf, in der großen Anzahl an Paragrafen die für das Kerngeschäft der Thüga gefährlichen Punkte zu identifizieren und die richtigen Schlüsse daraus abzuleiten. Hennig: „Oft reicht es nicht aus, nur die Gesetzesentwürfe zu lesen. Manche Abgründe verbergen sich in den hunderten Seiten Erläuterungen.“

Quote für erneuerbare Gase gefordert

Ein Beispiel: Der Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten EU-Endenergieverbrauch soll von bisher geplanten 32 auf 40 Prozent angehoben werden. Das bedeutet im Vergleich zu heute eine Verdopplung des EE-Anteils innerhalb von 10 Jahren! Besonders relevant für die Thüga-Gruppe ist die neue Bestimmung, wonach der EE-Anteil an der Endenergie in Gebäuden bis 2030 auf 49 Prozent steigen soll. Hennig: „Da habe ich erst einmal tief Luft holen müssen nach der ersten Ankündigung. Aber wir nehmen die Anforderung proaktiv auf und werden den Parlamentariern erläutern, dass dieses Ziel nur mit einer Quote für erneuerbare Gase zu erreichen ist.“ Die Thüga-Strategie sei, vorwärtsgewandt zu kommunizieren und Änderungsvorschläge stichhaltig zu begründen und mit Projekten zu untermauern.

Der Ablauf des Gesetzgebungsprozesses auf einen Blick: In jedem Schritt nutzt Thüga alle Chancen, um Einfluss im Sinn der Gruppe zu nehmen.

Jedes Teil kommt unter die Lupe

Doch nicht nur beim Thema Gas lauern Hürden: Auch in den anderen Sparten wie Strom, Fernwärme und Mobilität gilt es, jedes Wort auf seine Bedeutung im Kontext unter die Lupe zu nehmen. Es kann einen Riesenunterschied machen, ob im Gesetz ein ‚und‘ oder ein ‚oder‘ steht. Hennig: „Es ist wie ein Puzzle mit 10.000 Teilen und wir müssen erst einmal die Randteile finden.“ Ein Wettlauf mit der Zeit.

Alle Netze wasserstofffest machen

Nun stellt sich die Frage, wie sich Partnerunternehmen auf die Anforderungen von „Fit for 55“ vorbereiten können. Hennig: „Die wichtigste Aufgabe für die Thüga-Gruppe ist die Organisation der Dekarbonisierung der Gas- und Fernwärmeversorgung. Einer der ersten Schritte ist, die Netze wasserstofffest zu machen. Wir bezeichnen diese Maßnahme als ‚no regret action‘, also eine Anforderung, die wir irgendwann auf jeden Fall umsetzen müssen. Je früher wir damit anfangen, desto besser.“ Projekte mit anderen Verteilnetzbetreibern in Deutschland wie H2vor-Ort oder das Wasserstoff-Kompendium dienen dazu, eine gesamtdeutsche Entwicklung loszutreten, die sich in Folge nach Europa fortsetzt.

Auch bei der Dekarbonisierung der Fernwärme haben bereits viele Partnerunternehmen Projekte in Angriff genommen. Hennig: „In Brüssel ist man sehr von der Fernwärme angetan, aber die Kraft-Wärme-Kopplung möchte man am liebsten stilllegen. Das erscheint auf den ersten Blick absurd, da die lokale KWK in Deutschland einen relevanten Beitrag zur Versorgungssicherheit leistet.“ Hier sei es wichtig, die fundierten Erfahrungen der Thüga-Gruppe in die Diskussion der nächsten Monate einzubringen. Fest steht: Das Fit-for-55-Paket war nur der erste Schritt. Eine Verabschiedung der Gesetze ist erst 2023 zu erwarten (siehe Grafik). Hennig: „Bis Ende des Jahres kommen aber noch mindestens fünf weitere große Gesetze auf uns zugerollt, die alle sehr wichtig für uns sind.“ Besonders die Vorschläge für die Änderung der Gasgesetze und die angekündigte Methangesetzgebung werden kurz vor Weihnachten auf den Gabentisch gelegt. Es bleibt also spannend.