Die ökologischen Belastungsgrenzen unserer Erde sind erreicht. Öffentliche Debatten und politische Regularien zeigen zudem, dass ein „Weiter so“ keine Option ist. Das hat auch die Wirtschaft erkannt. Immer mehr Unternehmen, unter ihnen auch die Thüga, investieren in ein umfangreiches Nachhaltigkeitsmanagement. Was man darunter versteht, erklärt Dr. Thomas Melde. Der Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft akzente beschäftigt sich seit 30 Jahren mit der Umsetzung von Nachhaltigkeit in Unter­nehmen und ist Co-Projektleiter im Projektteam nachhaltigkeit@thuega.

Herr Melde, was bedeutet Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit ist ein volkswirtschaftliches Konzept, das letztlich die Tragfähigkeit sozio-ökologischer Zustände beschreibt. In der öffentlichen Wahrnehmung bedeutet Nachhaltigkeit oft, dass man mit ihr die Wälder, die Meere und den Planeten rettet. Aber eigentlich geht es darum, unsere Zivilisation zu retten. Ökosysteme passen sich an und verändern sich. Ob und wie wir als Menschheit auf diesem Planeten dauerhaft leben können, ist die eigentliche Frage.

Weshalb beschäftigen sich Unternehmen, wie jetzt auch die Thüga, zunehmend mit Nachhaltigkeit?
Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Beispielsweise werden Unternehmen durch die politisch gewollte Energiewende mit veränderten Rahmenbedingungen und Regularien konfrontiert, an die sie sich anpassen und die sie umsetzen müssen. Aber auch der Kapitalmarkt muss reagieren, weil er merkt, dass manche Investitionen keine Rendite mehr abwerfen, weil sich die ökologischen und regulatorischen Rahmenbedingungen gewandelt haben: Bestimmte nicht nachhaltige Wirtschaftsweisen sind einfach nicht mehr finanzierungsfähig. Auch die Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und deren Kinder hinterfragen zunehmend die Nachhaltigkeit der Unternehmen und ihrer Produkte. Kunden entscheiden durch ihr Kaufverhalten, ob sie weiter CO2 in die Luft blasen und die Meere vermüllen wollen.

Das heißt, es baut sich ein gewisser Druck auf Unternehmen auf?
Ja, und mit diesem Druck müssen Unternehmen umgehen und darauf reagieren. Die ökonomischen Rahmenbedingungen ändern sich. Mit der Folge, dass bald für bestimmte Produkte oder Dienstleistungen nicht mehr der Preis wie früher gezahlt wird oder sich keine Käuferschicht mehr findet.

Was ist der größte Treiber für ein Nachhaltigkeitsmanagement?
Der größte Treiber ist mit Abstand die Regulierung durch gesetzliche Vorgaben. Dass es Offenlegungspflichten gibt und dass Unternehmen Rechenschaften ablegen müssen über ihre Nachhaltigkeit. Stichwort Transparenzanforderung: Diese hat die Europäische Union gerade noch einmal verschärft.

Um Nachhaltigkeit zu erklären, wird häufig das sogenannte Drei-Säulen-Modell benutzt. Ist das noch aktuell?
Dieses Modell sortiert Nachhaltigkeit in drei Säulen: in eine ökologische, soziale und ökonomische. Diese Aufteilung funktioniert aber nicht, wenn man alle drei Säulen gleichwertig behandelt. Das betrifft beispielsweise das Verhältnis zwischen ökonomischer und sozialer Seite.

Inwiefern?
Für ein Unternehmen mag es wirtschaftlicher sein, Zeitarbeiter einzustellen, die man jederzeit wieder entlassen kann. Sozial ist das aber nicht. Das Drei-Säulen-Modell führt also ständig zu Zielkonflikten. Stattdessen zeichnet man heute drei konzentrische Kreise, in deren Mitte das Unternehmen mit seinen wirtschaftlichen Interessen steht. Das ist aber eingebettet in die gesellschaftliche Notwendigkeit und die ist wiederum eingebettet in ökologische Rahmenbedingungen.

Was bewirkt diese Sichtweise?
Es entsteht eine Hierarchie. Wenn gewisse ökologische Rahmenbedingungen nicht mehr vorhanden sind, muss sich das wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhalten ändern. Die Pandemie ist dafür ein gutes Beispiel: Weil wir es nicht hinbekommen haben, vernünftig mit Wildtieren umzugehen, konnte das Virus auf die Menschen überspringen und sich weltweit verbreiten. Deswegen leidet die Gesellschaft und Wirtschaft auf der ganzen Welt. Und die Profitabilität vieler Unternehmen ist gesunken.

Das bedeutet?
Die zentrale Frage, die sich Unternehmen stellen müssen, lautet: Ist mein wirtschaftliches Verhalten ökologisch und sozial tragfähig? Wenn es das nicht ist, dann ist es vollkommen egal, ob es ökonomisch tragfähig ist, weil es das über kurz oder lang nicht mehr sein wird. Ich glaube, die Erkenntnis, dass wir an unsere ökologischen Belastungsgrenzen kommen, ist gerade auch bei Unternehmen angekommen.

Auf welche Herausforderungen müssen sich Unternehmen bei der Umsetzung eines Nachhaltigkeitsmanagements einstellen?
Erstens ist Nachhaltigkeit ein großes und breites Thema, das fast alle Bereiche betrifft: Einkauf, Vertrieb, Controlling, Datenschutz oder Personal. Das macht ein Nachhaltigkeitsprojekt sehr aufwendig. Zweitens gibt es immer Unternehmen, die ein Nachhaltigkeitsmanagement als Business Case betrachten und in erster Linie wissen wollen: Was kostet mich das und wieviel verdiene ich mit den Maßnahmen? Das ist aber der falsche Ansatz. Die Frage muss lauten: Was können wir künftig nicht mehr verdienen, wenn wir uns nicht mit Nachhaltigkeit beschäftigen?

Und wie lautet die Antwort?
Diese Unternehmen verlieren über kurz oder lang ihre „Licence to operate“. Also ihre Daseinsberechtigung von externen Stakeholdern. Partner und Geschäftskunden würden sich zurückziehen. Verweigerer könnten weniger qualifizierte Fachleute einstellen. Und sie müssten sich auf Strafzahlungen einstellen, beispielsweise wenn Lieferketten nicht nachhaltig und transparent dargestellt sind.

Was ist Ihr persönliches Fazit?
Ich freue mich, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Breite verstanden wird. Gleichzeitig befürchte ich, dass durch die Dynamik, mit der das Thema gerade gepusht wird, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Nachhaltigkeitsmanagement lässt sich nicht in einem Projekt in vier Monaten abarbeiten – und danach ist alles erledigt. Man braucht einen langen Atem: Nachhaltigkeit ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Das müssen Unternehmen verstehen.