Wie rüsten sich die Wasserversorger in Deutschland für die Herausfor­­derungen der Zukunft? Thüga im Interview mit Dr. Wolf Merkel, Vorstand Wasser im Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW).

Herr Dr. Merkel, geht Deutschland das Wasser aus?

Wenn man sich die Berichterstattung der letzten Jahre anschaut, könnte dieser Eindruck entstehen. Doch in Deutschland gibt es ausreichend Niederschläge und für die Wasserversorgung benutzen wir nur einen Bruchteil davon, nämlich etwa drei Prozent. Wir sehen jedoch die Auswirkungen des Klimawandels deutlich, wodurch sich die Niederschlagsverteilung auch in Deutschland spürbar verändert.

Dr. Wolf Merkel, Bildnachweis: DVGW/KurdaAlso ist die Trinkwasserversorgung nicht gefährdet?

Die Trinkwasserversorgung in Deutschland ist sicher. Und die Wasserversorger tun viel dafür, um sich auch für die Zukunft resilient aufzustellen. Sie prüfen, ob die eigenen Ressourcen ausreichen, oder ob sie sich beispielsweise mit Nachbargemeinden verbünden, um Ausfällen vorzubeugen. Außerdem bauen sie Wassergewinnungsanlagen, Aufbereitungsanlagen und Speicherbehälter, um dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen. Dabei werden immer mehr digitale Prognose- und Steuerungstools eingesetzt.

Auf was müssen die Wasserversorger noch reagieren?

Die größten Herausforderungen sind neben dem Klimawandel das Wachstum der Ballungszentren, die Veränderungen der Wasserbedarfe auf dem Land und der Wechsel von Produktionsbedingungen in der Industrie. Alle Veränderungen beeinflussen den Wasserbedarf und die nötigen Infrastrukturmaßnahmen.

Wie steht Deutschland im Vergleich da?

Wir haben in Deutschland eine der sichersten und besten Wasserversorgung weltweit. Diese wird durch den hohen Standard im Regelwerk gewährleistet, also die allgemein anerkannten DVGW-Regeln und Normen, die für die Ausgestaltung der Versorgungssicherheit und der Aufrechterhaltung der Trinkwasserqualität sorgen. Die Ausfallzeiten liegen in den Kennzahlen quasi bei null. Das Umweltbundesamt bescheinigt in den Qualitätsberichten, dass die Abweichungen die absolute Ausnahme sind und alle Kriterien der deutschen und europäischen Trinkwasser-Richtlinien eingehalten werden.

Warum gibt es dann immer wieder Berichte über Schadstoffbelastungen im Wasser?

Grund ist der technische Fortschritt – in der Chemie und Pharmazie, und in der Messtechnik: Wir profitieren täglich von neuen Wirkstoffen, und wir haben einen enormen Schub der Analysetechnik und können Spuren von Substanzen messen, die vor 20 Jahren nicht wahrnehmbar waren. Die Trinkwasserverordnung schreibt strenge Grenzwerte für kritische Substanzen vor. Diese werden ausnahmslos eingehalten.

Welche Rolle spielt Nitrat?

Das ist ein Punkt, der mir in Bezug auf die Trinkwasserqualität am meisten Sorgen macht. Denn die Nitratwerte steigen an vielen Stellen an und der natürliche Nitratabbau im Boden geht zurück. Leider wird in Deutschland an vielen Orten intensive Land- und Viehwirtschaft betrieben mit einer Überproduktion von Gülle, die sich über die Felder bis in das Grundwasser im Wasser nachweisen lässt. Das kann auf Dauer nicht gut gehen, wenn man den Gewässerschutz im Auge hat. Bei dem Thema muss meiner Meinung nach die Politik ran. Wir, der DVGW und seine Gremien, setzen uns für eine ökologische Landbewirtschaftung ein.

Schätzen wir unser Wasser zu wenig?

Die Deutschen sind es gewohnt, dass ihr Trinkwasser rund um die Uhr aus dem Hahn fließt. Was nicht als Engpass wahrgenommen wird, scheint erst einmal nichts wert. Zudem ist die gesamte Infrastruktur unsichtbar, die hinter einer Wasserversorgung liegt: die entsprechenden Leitungen, die in jeder Straße verlegt sind, und in den Städten und auf dem Land eine Infrastruktur von Speichern, Aufbereitungsanlagen und Transportleitungen.

Warum ist der Wasserpreis ein heikles Thema?

Er hat das Potenzial für große Aufgeregtheit in der Öffentlichkeit und den Medien. Es gab in den letzten zehn Jahren immer wieder Rankings der Wasserpreise in Städten und Landkreisen. Der Anspruch war, dass Trinkwasser überall das Gleiche kosten soll, was ja aufgrund der unterschiedlichen topografischen Voraussetzungen gar nicht möglich ist. Auf der Basis kann man Stimmung machen und die öffentliche Meinung beeinflussen. Die Diskussion entbehrt für mich jeder ökonomischen Grundlage: Denn jeder deutsche Haushalt zahlt im Jahr und je nach Region einen Wasserpreis zwischen 150 und 300 Euro. Das sind für jeden etwa 25 Cent pro Tag, und ist im Vergleich zu anderen Ausgaben im Haushalt eher gering. Wenn man dann noch vergleicht, was derselbe Verbraucher jährlich für Mineralwasser ausgibt, dann gibt es keinen Grund für Aufregung.

Wie wichtig ist die Instandhaltung der Infrastruktur?

Instandhaltung ist für Wasserversorger eine Daueraufgabe, die sie mit entsprechender Intensität wahrnehmen müssen. Einerseits geht es um die Pflege des Bestands, die in einer kontinuierlichen Bewertung, dem Austausch von Teilen und Modernisierungsarbeiten besteht, um die Lebensdauer zu verlängern. Stichwort ist hier der Werterhalt. Immerhin haben wir es mit 530.000 Kilometern Leitungslänge zu tun. Andererseits muss die Infrastruktur auch den neuen Verhältnissen angepasst werden.

Was bedeutet das konkret?

Wenn ein großer Produktionsstandort in meinem Versorgungsgebiet nicht mehr besteht, dann muss ich das System zurückbauen. Wenn eine Stadt an ihrer Peripherie wächst, dann ist die vorhandene Infrastruktur nicht mehr ausreichend. Es geht also immer um beides: vorausschauende Pflege, um Kostenpeaks durch zu langes Aufschieben der Erneuerungsarbeiten zu vermeiden und ständiges Anpassen an aktuelle Bedürfnisse.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Grundsätzlich optimistisch – unsere Wasserversorgung ist gut aufgestellt, Deutschland ist wirtschaftlich stark und die Bevölkerung ist umweltbewusst. Die Wasserwirtschaft plant immer auch für kommende Generationen, und wenn wir diesen Konsens in Politik, Öffentlichkeit und Wirtschaft erhalten, werden wir Deutschland auch in Zukunft mit sauberem Trinkwasser versorgen können.