Seit über 100 Jahren versorgen die Stadtwerke Lindenberg Teile des Allgäus mit Erdgas, Trinkwasser und regenerativer Energie. Ausgerechnet mit dem Ausstieg aus den fossilen Energien könnte nun ein neues Geschäftsfeld hinzukommen. Das zeigte ein gemeinsames Pilotprojekt mit der Thüga.

Wer ein Beispiel sucht, warum sich Energieversorger auf ihrem Dekarbonisierungspfad früh mit relevanten Stakeholdern zusammentun sollten, findet es in Lindenberg. Dort teilen sich die Stadtwerke Lindenberg und die Wohnungsbaugesellschaft GKWG eine für ihr Geschäft zentrale Gemeinsamkeit: Die Stadtwerke dürfen spätestens ab dem 1. Januar 2045 kein fossiles Erdgas mehr durch ihr Netz leiten. Die Mieter der Wohnungsbaugesellschaft müssen perspektivisch 65 Prozent „grün“ heizen. Und es gibt einen Lindenberger Stadtteil, in dem schon jetzt beides zusammenkommt.

Neues Wärmenetz im Visier

Mehrere Hundert GKWG-Wohnungen beliefert die Thüga Energienetze, die seit Jahresanfang das Lindenberger Gasnetz betreibt, in dem Gebiet. Gleiches gilt für zwei Schulen sowie eine geplante neue Kindertagesstätte. Unweit davon produziert die Liebherr-Aerospace Lindenberg GmbH Fahrwerke sowie Flugsteuerungs- und Betätigungssysteme für Luftfahrzeuge. „Ein solches Setting bietet sich natürlich für eine genauere Wärmenetz-Betrachtung an“, sagt Markus Mischke, Geschäftsführer der Lindenberger Stadtwerke. „Die Idee, eine zentrale Versorgung des fast gesamten Stadtteils zu prüfen, ist in einem Gespräch mit der GKWG entstanden.“ Seine Stadtwerke entschieden sich für den Weg über eine Thüga-Kurzstudie. „Mit einem überschaubaren Aufwand haben wir eine erste Bewertung über die Transformationspotenziale des Areals erstellt“, erklärt Thüga-Projektleiter Admir Hadzikadunic. Die Zielsetzung: ein mögliches Wärmeversorgungskonzept für den Stadtteil zu erarbeiten und neben den technischen Inhalten eine Wärmeabsatzprognose sowie eine erste Wirtschaftlichkeitsrechnung durchzuführen. „Hinsichtlich Umfang und Inhalt haben wir uns an den Vorgaben der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze, der BEW, orientiert.“

Machbarkeitsstudie folgt

Das wichtigste Ergebnis der Kurzstudie: Ein neues Wärmenetz ist  prinzipiell realisierbar, nicht zuletzt, weil nicht weit entfernt das Werksgelände der Stadtwerke liegt. Allein die 434 Wohneinheiten in 38 Gebäuden bringen es auf einen Wärmebedarf von gut 3.700 Megawattsunden pro Jahr (MWh/a). Mit einer Netzlänge von circa 1.200 Metern sowie weiteren 1.000 Metern Hausanschlussleitungen ließen sich sämtliche Gebäude im geplanten Versorgungsgebiet anschließen. Bei den Energieträgern des möglichen neuen Wärmenetzes deutet vieles auf einen Mix aus Luft-Wasser-Wärmepumpen, Hackschnitzelanlagen sowie „Power2Heat“ hin. Ausgehend von den Ergebnissen der Kurzstudie, stellten die Stadtwerke zum Jahresanfang 2025 den Antrag auf Bundesförderung einer konkreten Machbarkeitsstudie nach BEW Modul 1. Einige Wochen später hielt Geschäftsführer Mischke den positiven Bescheid in den Händen. Die Ausarbeitung der konkreten Machbarkeitsstudie übernimmt nun die Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien IEG. Mischke: „Wir sind optimistisch, dass auch diese Studie unseren Plänen die Realisierbarkeit bescheinigt.“ Dass die Tage von mehreren ländlicheren Abschnitten des bisherigen Erdgasverteilnetzes um Lindenberg gezählt sind, ist bei den Stadtwerken kein Geheimnis. Im Stadtgebiet selbst ist die Anschlussnutzung mit grünem Wasserstoff Thema. „Und in der dicht bebauten Innenstadt sehen wir durchaus Potenzial für ein weiteres neues Wärmenetz.“

Absatzdichte und Wärmemischpreis

Wegen der geringen Absatzdichte ist die leitungsgebundene Wärmeversorgung in Gebieten mit zahlreichen Einfamilienhäusern meist nicht geeignet. Insbesondere Fernwärmenetze gelten erst ab einer relativ hohen Absatzdichte von zwei bis drei MWh pro Meter Trassenlänge als rentabel. Ob ein Wärmenetz auch gegenüber anderen Wärmeerzeugungsformen wettbewerbsfähig ist, dafür ist der Wärmemischpreis wesentlich. Er wird in Cent pro Kilowattstunde angegeben und setzt sich aus Energie-, Betriebs- und Kapitalkosten der Wärmeversorgung zusammen. Damit ermöglicht er einen direkten Vergleich. Dieser ergab im Falle des geplanten Lindenberger Wärmenetzes: Der Wärmemischpreis der Fernwärme kann gegenüber der Wärmepumpe wettbewerbsfähig sein.