Kurzfristig führt die Gaskrise zur Verlagerung weiterer Lasten ins Stromnetz. Langfristig steht die Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors an.  So setzen Stromnetzbetreiber geeignete Maßnahmen um. 

Wer im Herbst 2022 zum Fachhandel ging, um einen Heizlüfter, Radiator oder Infrarotstrahler zu kaufen, stand in manchen Gebieten womöglich vor leeren Regalen. Die Angst vor einem kalten, teuren Winter hatte die Nachfrage nach tragbaren elektrischen Heizgeräten aufwärts getrieben. Bei den Stromnetzbetreibern folgte die Sorge vor überlasteten Netzen. „Für die Stromnetze stellen die Geräte eine Belastung dar, die nur schwer einzukalkulieren ist“, erklärt Julia Holl aus der Thüga-Technik. Wie auch? „Die meisten Heizlüfter sind nicht anmeldepflichtig.“ Wie viele Geräte mit welcher Leistung wann Strom aus den Leitungen ziehen, das sei die große Unbekannte. Für Partnerunternehmen hat die Thüga deshalb zeitlich gestaffelte Empfehlungen und Handlungsschritte abgeleitet. Demnach sollte die Priorität auf der vorbereitenden Lagermaterialnachrüstung, der Kontaktaufnahme mit den Gasnetzbetreibern und der selektiven Absicherung aller Betriebselemente zum Schutz vor Überlastung liegen. Trafos, Niederspannungshauptverteilung, Stationsabgänge und Kabelverteilerkästen gehören beispielsweise zu diesen Betriebselementen. Netz-Belastungsszenarien durchspielen, Personal für Betrieb und Entstördienst vorhalten sowie eine Hot-Spot-Datenbasis zu erstellen, ist ebenfalls sehr sinnvoll. 

Strategischer Netzausbau 

 Bei der Frage, was die Netze noch packen, geht es aber nicht nur um Heizlüfter. Der Kontext ist viel größer. Neben Industrien, die auf alternative Wärme- und Energiequellen umsteigen, erhalten die Netzbetreiber auch eine stetig steigende Anzahl an Anfragen für Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen oder Ladepunkte für E-Mobilität. „Der gesamte Hochlauf stellt die Verteilernetze absehbar vor große Herausforderungen“, sagt Holl. „Die Netze werden das packen. Aber nur, wenn die Netzbetreiber sie fit machen und ausbauen für die höheren Anforderungen.“ Aber wie? „Wichtig ist vor allem ein durchdachter Plan.“ Am besten hätten sich Stromnetzbetreiber zum jetzigen Zeitpunkt schon einen guten Überblick über die entscheidende Frage verschafft: Welche Auswirkungen haben die politischen Entwicklungen und die alternativen Wärme- und Energiequellen konkret aufs eigene Netz? Jedes Netz komme bekanntlich mit seinem ganz individuellen Aufbau daher. Genauso individuell sei auch die Ausbaustrategie zu gestalten. Holls Empfehlung für den Zeitstrahl: „Am besten sind die Prüfung und Ausarbeitung der strategischen Handlungsoptionen mittlerweile auch abgeschlossen.“ 

 

Die Ziele der Bundesregierung – noch weit entfernt

  • 215 Gigawatt PV-Leistung sollen bis 2030 in Deutschland installiert sein. Das bedeutet rund 20 Gigawatt jährlicher Zubau spätestens ab 2025.  
  • Zum Vergleich: 2022 betrug der Neubau etwa sieben Gigawatt.  
  • 15 Millionen rein elektrische E-Autos sollen bis 2030 auf Deutschlands Straßen unterwegs und eine Million Ladepunkte installiert sein.  
  • Im Juni 2022 fuhren laut Kraftfahrt-Bundesamt etwa 650.000 rein elektrische E-Autos, die laut Bundesnetzagentur etwa 62.000 Normalladepunkte ansteuern konnten.  
  • Die Bundesregierung rechnet 2030 mit einem Bruttostromverbrauch von etwa 750 Terawattstunden (2022 rund 547 TWh, das entspricht einem Zuwachs von 37 Prozent). 

 

Neue Steuerinfrastruktur 

Einfach nur ein paar dickere Leitungen zu verlegen, damit sei es mit Sicherheit nicht getan. „Wenn ich zum Beispiel in meinem Netz eine Autobahn-Raststätte habe, die bald fit gemacht werden soll für Elektro-Lkws, brauche ich Vorlauf.“ Neue Trafostationen oder ein Umspannwerk mitten in der Stadt? „Da konkurriere ich mit dem Wohnungsbau oder notwendigen Kitas.“ Weitere Nadelöhre stellten die behördlichen Genehmigungsprozesse sowie Materialengpässe dar. Und die Kreditvergabe sei bekanntlich auch schon leichter gewesen. Immerhin: Über steuerbare Verbrauchseinrichtungen könnten Verteilnetzbetreiber in absehbarer Zeit die Möglichkeit erhalten, den Strombezug der flexibel steuerbaren Geräte vorübergehend zu reduzieren, um zeitweilige Netzüberlastungen in der Niederspannung proaktiv zu vermeiden. Allerdings ist Holl zufolge im aktuellen ersten Entwurf der Ausgestaltung offen, ob die neue Steuerinfrastruktur nur eine temporäre Lösung darstellt, um Zeit für den finalen Netzausbau hin zu einer goldenen Kupferplatte zu gewinnen. Oder ob sie – inklusive der dahinter greifenden Mechanismen – dauerhaft für einen gesamtwirtschaftlich günstigen Netzausbau mit Augenmaß eingesetzt werden kann.