Der Hochlauf der E-Mobilität bedeutet für deutsche Netzbetreiber Investitionen von rund elf Milliarden Euro in den Ausbau der Netzinfrastruktur. Ein Feldtest zeigt: Netzdienliche Steuerung von Ladevorgängen ist möglich – und kann zum Netzausgleich beitragen.

Von Robert Botz

Drohen bei einer Elektroauto-Quote von 30 Prozent schon Stromausfälle? Lokal ist dies möglich, aber auch die Grundlasten im Netz werden sich verändern. In Kooperation mit lokalen und überregionalen Partnern erforscht die Thüga seit Dezember 2020 Wege zur netzverträglichen Integration der E-Mobilität. Im Fokus: das gesteuerte Laden. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Ladeinfrastruktur 2.0“ wird systematisch untersucht:

  • wie das Ladeverhalten der Kunden durch Anreize beeinflusst werden kann
  • wie groß die Potenziale und Hürden für netzdienliches Laden sind
  • wie eine prototypische Lösung aussehen sollte
  • wie Ladeinfrastruktur proaktiv in der Netzplanung und beim Netzanschlussprozess berücksichtigt werden kann

Feldtest in Braunschweig

Rund 30 Haushalte im Raum Braunschweig wurden mit Wallboxen und Heimenergiemanagementsystemen (HEMS) für das gesteuerte Laden

Ladesäule mit E-Auto; Foto: Blue Planet Studio_iStockphoto

Foto: Blue Planet Studio_iStockphoto

ausgerüstet. Via App geben die Teilnehmer des Feldtests an, wann sie ihre nächste Abfahrt planen – und ob sie lieber ökologisch, also mit minimierten CO2-Emissionen, oder kostengünstig bei geringerem Netzentgelt laden wollen. Ähnlich der Restaurantauslastung bei Google erhalten Kunden beim netzdienlichen Laden Anreize, um in Zeiten mit geringer Auslastung mehr Ladevolumen zu erzeugen. Das System optimiert den geplanten Ladevorgang automatisch nach diesen Vorgaben und den Einstellungen des Nutzers.

Eine besondere Herausforderung war anfangs das Zusammenspiel vieler verschiedener IT-Systeme vom Fahrzeug über die Wallbox, das HEMS und die Kunden-App zum Messgerät in der Ortsnetzstation, der Netzleitwarte und dem Netzbetreiber-Backend zur eigentlichen Steuerung. So fingen manche Fahrzeuge bei niedrigerer Ladeleistung nicht an zu laden oder das HEMS berechnete die erforderliche Ladezeit nach der Maximalleistung der Wallbox anstatt nach der niedrigeren Aufnahmeleistung der Fahrzeugbatterie. Auch die Sommer-/ Winterzeit war eine Fehlerquelle: Manche Systeme stellten sich automatisch um, andere nicht.


Steuerung der Ladevorgänge ohne KomforteinbußenIcon E-Mobilität

Die technischen Anlaufschwierigkeiten konnten bald behoben werden und seit Start des Feldtests wurden vier verschiedene Szenarien untersucht:

  • ungesteuertes Laden (als Vergleichsszenario)
  • monetärer Anreiz mit vergünstigtem Laden zu bestimmten Zeiten
  • monetärer Anreiz auf Basis der Auslastung des Ortsnetzes mit viertelstündlich wechselnden Gebühren
  • Simulation einer 100-Prozent-E-Auto-Quote, sodass gesteuerte Haushalte zu bestimmten Zeiten überhaupt nicht mehr laden konnten

Bei allen Szenarien konnte nachgewiesen werden, dass die Verschiebung der Ladevorgänge ohne Einschränkungen der Nutzer funktioniert. Allzu starke Anreize können allerdings auch eine gegenteilige Wirkung und eine höhere Netzbelastung zur Folge haben, da alle Kunden diese nutzen möchten. Dies ist nur sinnvoll, wenn diese auf Zeiten fallen, bei denen andere Verbraucher wie Wärmepumpen keinen Strom brauchen oder gleichzeitig viel lokaler Photovoltaik- Strom produziert wird.

Auch Nutzerbefragungen lieferten wertvolle Erkenntnisse: Wie sehr sind Verbraucher:innen bereit, ihr Verhalten netzdienlich auszurichten? Wer sein E-Auto regelmäßig für die Fahrt zum Arbeitsplatz benötigt, wird seinen Tagesablauf kaum umstellen können. Alle, die flexibler sind, müssen mitmachen, indem sie ihr Fahrzeug möglichst oft ans Netz anschließen und nicht nur, wenn die Batterie fast leer ist. Da es hierfür bisher keinen Anreiz gibt, ist die Bereitschaft noch klein. Schaffen speziell geschnürte Angebote für private und gewerbliche Kunden den Ausgleich? Bald liegen genauere Ergebnisse vor.


Netzplanung in Wiesbaden und Braunschweig

Mann steckt Ladestecker am E-Auto ein; Foto: iStock

Foto: iStock

Aber selbst, wenn man mit gesteuertem Laden kurzfristige Engpässe gut ausgleichen kann, muss das Netz langfristig für die Elektromobilität ausgebaut werden. Zusammen mit dem Fraunhofer IEE, den Partnerunternehmen sw|netz und BS|Netz sowie weiteren Konsortialpartnern werden im zweiten Teilprojekt neue Herangehensweisen und Tools für die Netzplanung entwickelt.

Wichtige Ziele sind die zeitnahe und effiziente Integration neuer Verbraucher, aber auch ein ganzheitlicher Ansatz mit Berücksichtigung von erneuerbarer, dezentraler Energie- und Wärmeerzeugung. Die eigens vom Fraunhofer IEE entwickelte Software erstellt automatisiert Anschlussvarianten, die durch den Kundenservice des Netzbetreibers geprüft und freigegeben werden.

In der langfristigen Netzplanung können verschiedene Hochlaufszenarien der Elektromobilität verglichen und optimale Ausbaupfade für das Netz erstellt werden. Elektromobilität hat das Potenzial, mit netzdienlicher Steuerung in Zukunft dazu beizutragen, die wachsende, fluktuierende und dezentrale Erzeugung auszugleichen. Trotzdem muss das Stromnetz je nach lokalen Gegebenheiten weiter verstärkt und ausgebaut werden. Für beides sind eine gute Datenlage, Transparenz und das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure notwendig.