Energiewende, Wärmewende, Gas-Ausstieg – die Stadtwerke der Thüga-Gruppe stehen vor Aufgaben, bei deren Bewältigung auch die richtigen politischen Signale wichtig sind.  Michael Riechel, Vorsitzender des Thüga-Vorstands, im Interview.

Michael Riechel, Vorsitzender des Vorstands der Thüga Aktiengesellschaft

Herr Riechel, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ist die Sicherheit und Bezahlbarkeit von Energie in aller Munde. Klimaschutz scheint in den Hintergrund zu rücken. Müssen wir eine Rolle rückwärts bei der Klima- und Energiewende fürchten?

Nein. Im Gegenteil: Der fürchterliche Krieg in der Ukraine ist ein dramatischer Weckruf für eine beschleunigte Energiewende. Wir brauchen eine klimafreundliche Versorgung mit erneuerbaren Energien und eine Diversifizierung der Bezugsquellen, die unser Land unabhängiger von krisenanfälligen Monostrukturen macht. Es ist tragisch, dass der klimapolitisch notwendige Umbau des Energiesystems durch diesen katastrophalen Krieg auf europäischem Boden Rückenwind bekommt.

Dann sind Sie mit den jüngsten Weichenstellungen der Bundesregierung zur Zukunft unserer Energieversorgung – Stichwort Osterpaket – also rundum zufrieden?

Tatsächlich geht vieles, was die Ampel-Koalition in Berlin gerade auf den Weg bringt, meines Erachtens in die richtige Richtung. Der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren, die Abschaffung der EEG-Umlage, der verbesserte Schutz von Verbrauchern vor unseriös agierenden Energie-Discountern, um nur einige positive Beispiele zu nennen. Leider werden wir aber auch mit ideologisch gefärbten oder handwerklich unsauber ausgearbeiteten Plänen und Gesetzesmaßnahmen konfrontiert, die uns große Sorgen bereiten müssen.

Wo drückt der Schuh?

Wenn zum Beispiel ein Staatssekretär aus dem Bundeswirtschaftsministerium unsere Stadtwerke dazu aufruft, mit dem Rückbau ihrer Gasnetze zu beginnen, weil er selbst nicht an gasbasierte Wärmeversorgung glaubt, dann ist dieser Vorstoß schlicht grob fahrlässig. Damit würde nicht nur leichtfertig kommunales Vermögen vernichtet, sondern auch die notwendige Wärmewende unnötig teuer gemacht und verzögert. Statt ein Hohelied auf die elektrische Wärmepumpe zu singen, die sehr gut, aber eben kein Allheilmittel ist, und über den Gas-Ausstieg zu debattieren, sollten wir endlich den Gas-Umstieg vorantreiben.

Sie spielen auf grüne Gase, etwa Wasserstoff an. Können diese tatsächlich zur Dekarbonisierung des Wärmesektors beitragen?

Ohne grüne Gase wird die Wärmewende scheitern. Mit rund 1.300 Terawattstunden macht der Wärmemarkt rund die Hälfte des Endenergieverbrauchs in Deutschland aus. Fast jeder zweite Haushalt heizt mit Gas, das sind 19 Millionen Anschlüsse. Dazu wird die überwiegende Mehrheit des deutschen Mittelstands, der Industrie und des Gewerbes über die Verteilnetze mit Gas versorgt. Dementsprechend groß ist die Hebelwirkung von  dekarbonisierten Gasen für die angestrebte CO2-Neutralität. Wollten wir das alles elektrifizieren, was im Übrigen gar nicht in allen Bereichen technisch möglich ist, müssten wir unser Stromnetz massiv ausbauen, dass kostet sehr viel Geld und dauert lange – sowohl finanziell wie auch zeitlich ist aber auch Deutschland bei der Erreichung der Klimaziele limitiert.

Brauchen wir einen Plan B für den Fall, dass die Politik weiterhin einem All-electric-Ansatz folgt, Wasserstoff den Industriekunden vorbehalten bleibt und Verbraucher:innen auf Alternativen zur Gasheizung setzen?

Unsere Unternehmen sind im Bereich der Daseinsvorsorge tätig, müssen dem Primat der Politik folgen und gleichzeitig Kundenerwartungen erfüllen. Aber das entbindet uns als Energie-Experten doch nicht von der Verantwortung, der Politik realistische Lösungsräume aufzuzeigen und vor Fehlentscheidungen zu warnen. Wir sollten in diesen dynamischen Zeiten nicht selbst zur Verunsicherung von Verbraucher:innen beitragen, indem wir unsere Überzeugungen aktuellen Stimmungslagen anpassen. Klar ist aber, dass wir und unsere Beteiligungen auch immer wieder alternative Szenarien rechnen müssen, das ist Teil unserer unternehmerischen Verantwortung.

Was heißt das konkret?

Dafür gibt es keine pauschale Antwort. Jede Region, jede Stadt hat spezifische infrastrukturelle Voraussetzungen, unterschiedliche Kundenstrukturen etcetera. Diese finden künftig im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung Berücksichtigung. Dabei können Kommunalpolitik, Gewerbe, Bürgerschaft und Stadtwerk gemeinsam, konkret und in engem Austausch den Umbau ihrer Wärmeversorgung planen – der Bund sollte dafür einen Rahmen setzen, die notwendigen Finanzmittel für Planung und Umsetzung bereitstellen, aber keine Top-down-Konzepte vorgeben oder bestimmte Technologien verbieten. Mit Technologieoffenheit kommen wir hier schneller und kostengünstiger ans Ziel und das wird auch auf die Akzeptanz bei den Bürger:innen einzahlen.