Neue Geschäftsfelder bringen neue Herausforderungen. Ein Beispiel dafür ist die Ladekarte für E-Fahrzeuge der Energie Südbayern (ESB): Die Umstellung vom singulären Produkt für Einzelkunden hin zu einem allgemein verfügbaren Angebot erforderte Veränderungen in Vertrieb, Marketing, Kundenservice und Software-Schnittstellen.

Das Kerngeschäft für Energiedienstleister verändert sich und geht längst über den reinen Vertrieb von Strom und Gas hinaus. Die Energiewende eröffnet neue Geschäftsfelder rund um die umfassende und nachhaltige Energieversorgung – dazu zählt insbesondere der rasant wachsende Markt E-Mobilität. Eine große Chance für Energieversorger, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und vermarkten. Allerdings sind die Vertriebsstrukturen bei Energieversorgerunternehmen bislang oft nur auf die klassischen Angebote zugeschnitten.

Neuausrichtung nach vermehrten Kundenanfragen

Für die Verkehrswende braucht es intelligente und komfortable Elektromobilitäts-
lösungen. Die ESB baut daher nicht nur seit 2018 die öffentliche Ladeinfrastruktur in Ober- und Niederbayern stetig aus – mittlerweile betreibt der Energieversorger über 1.000 Ladepunkte –, sondern macht Verbrauchern den Umstieg aufs E-Fahrzeug mit einem Rundum-Angebot möglichst einfach. Unter anderem hat ESB eine Ladekarte entwickelt, die ihren Nutzern Komfort und Tarifvorteile bringt. Wie dieses Produkt vom reinen Projektgeschäft in den Massenmarkt überführt wurde, erklärt Philipp Schwarz, Fachbereichsleiter Vertrieb, Privatkunden & Marketing bei ESB: „Wir haben die Ladekarte im Zusammenschluss mit dem Softwarepartner ladenetz.de und SMART/LAB entwickelt und zunächst eingeführt, um sie Mitarbeitenden und einzelnen Projektpartnern zu geben. Anfangs gab es keinen vertrieblichen Anlass, dies auch für den Massenmarkt zu tun. Die Kunden haben das Produkt aber nach und nach über unsere Webseite gefunden, ohne dass wir es beworben haben. Als immer mehr Anfragen kamen, haben wir uns entschieden, die Ladekarte neu zu denken. Dafür wurde sie vom Projektgeschäft in den Privatkundenbereich genommen.“

Übernahme in alle Vertriebskanäle

Konkret bedeutete dieser Schritt, das Produkt nach einer gründlichen Analyse in alle Vertriebskanäle zu übernehmen, in den Kundenservice zu integrieren und gezielte Marketingmaßnahmen umzusetzen. Neben Online- und Social-Media-Kampagnen wurde die Ladekarte auf der ESB-Homepage, in Newslettern, Kundenmailings und auf den Displays der Ladesäulen beworben. Für das Risikomanagement und aus Transparenzgründen wurde ein Berichtswesen zur Vertriebssteuerung eingeführt. Das Resultat: Im ersten Jahr 2023 hat sich die Ladekarte etwa 2.000-mal verkauft. Aktuell gehen etwa 50 bis 100 Bestellungen im Monat ein.

Integration in Software-Systeme

Neben der kaufmännischen und servicetechnischen Komplexität stand die ESB vor der Aufgabe, die Ladekarte in bestehende Prozesse und Software-Systeme des Unternehmens zu integrieren. „Die Energiewirtschaft ist bei den Abrechnungssystemen softwaremäßig sehr auf den Verkauf von Strom und Gas ausgelegt“, so Schwarz. „Nun kommen neue Produkte, die nicht in diese Standardsysteme hineinpassen. Ein Beispiel ist unsere Ladekarte, die über den Ladenetzverbund von SMART/LAB und ladenetz.de verwaltet wird ohne Anbindung an unser SAP-System. Das erschwert sowohl die Produktvermarktung als auch den Kundenservice.“

Wachsendes Thema, schnelle Umstellung

Damit ist die ESB nicht allein. Die neu zu erschließenden Märkte sind für alle Energieversorger wichtige Zukunftsthemen, die sie am besten mit kontinuierlichem Austausch und Kooperation anpacken. „Noch ist E-Mobilität bei vielen Energieversorgungsunternehmen eine One-Man-Show. Doch weil die Entwicklung immer mehr voranschreitet und das Thema wächst, muss schnell umgestellt werden“, rät Florian Lerchl, im Thüga-Kompetenzcenter Innovation zuständig für Elektromobilität . „Dazu müssen entsprechende Abteilungen Aufgaben wie Kundenservice oder Tarifstrukturen organisieren, was mit Herausforderungen einhergeht.“

Schnittstelle und Netzwerk

Die Thüga unterstützt Partnerunternehmen, wenn es um komplexe Umstellungen bei neuen Produkten und Dienstleistungen geht – egal ob im Hinblick auf rechtliche Rahmenbedingungen oder den Zugang zu geeigneten Fördermöglichkeiten. Und bei der Errichtung öffentlicher Ladeinfrastrukturen können Partnerunternehmen zu günstigen Konditionen Rahmenverträge für Ladesäulen bekommen. „Bei neuen Geschäftsfeldern und Entwicklungen dient die Thüga als kontaktknüpfende Schnittstelle und Netzwerk innerhalb der Energiewirtschaft“, macht Lerchl klar. Vor allem das Thüga-Forum Lösungsvertrieb und einzelne Arbeitsgruppen seien dafür ideale Formate.