Das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende ist durch. Es könnte den erhofften Durchbruch bei der Einführung intelligenter Messsysteme und damit die Flexibilisierung des Verteilnetzes beschleunigen.

Schlüssel für ein kosteneffizientes, flexibles Management der Verteilnetzebene sind intelligente Messsysteme, kurz iMsys. In großen Stückzahlen im Netz verteilt, ermöglichen sie nicht nur die sichere und flexible Erfassung von Verbrauchsdaten. Sie erlauben auch eine dynamische Steuerung von Abgabe- und Einspeisemengen. Damit lässt sich das Gesamtnetz an wechselnde Lastzustände anpassen und Angebot und Nachfrage effizient vermitteln. Deshalb spielt die Novellierung des Ende Mai verabschiedeten Gesetzes zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW) – vulgo Stromzähler-Gesetz – eine zentrale Rolle für die Energiewende insgesamt.

Transparenz im Netz

„Im Niederspannungsnetz sind die Betreiber bislang im Blindflug unterwegs“, sagt Johannes Wieser, Smart Metering-Experte im Thüga-Kompetenzteam Technik. „Die Lastverläufe werden bislang in der Regel geschätzt, die Netze auf eine erwartbare Lastzunahme hin ausgelegt. Das hat viele Jahrzehnte gut funktioniert.“ Wenn allerdings an die Verteilnetze immer mehr größere Verbraucher wie Wärmepumpen und E-Autos und gleichzeitig nicht-kontinuierliche Erzeuger wie Dachsolaranlagen angeschlossen werden, kann die Auslegung auf eine theoretische Lastspitze hin sehr teuer werden“.

Erleichterungen für die Flexibilisierung

Seit der ersten Fassung des Gesetzes im Jahr 2016 lief der Aufbau der intelligenten Infrastruktur stockend. „Das lag etwa an der Covid-19-Pandemie und den damit verbundenen Lieferschwierigkeiten oder am lückenhaften Angebot der Techniklieferanten“, so Johannes Wieser. Aber auch die erste Fassung des Gesetzes türmte Hürden auf, die der novellierte Text jetzt schleift. Dazu zählen zum Beispiel die preisliche Entlastung der Endkunden durch die Verteilung der Kosten – Preisobergrenzen – auf Kunden und Netzbetreiber, die klare Verteilung der Rollen bei der Standardisierung von Systemkomponenten – das Bundesamt für Informationssicherheit wird sich vor allem um die Vorgaben für das Smartmeter Gateway (SMGW) kümmern –, Vereinfachungen bei Versand und Registrierung der Technikkomponenten oder die Ermöglichung des agilen Rollouts der intelligenten Messsysteme. Wieser: „Die Systeme können auch ohne den vollen Funktionsumfang installiert werden. Der kann jetzt bis spätestens Ende 2025 per Softwareupdate nachgereicht werden.“ Alles Dinge, die den Rollout beschleunigen können.

Quoten treiben zur Eile

Auch die gesetzlich vorgegebenen Einbauziele für die intelligenten Messsysteme drücken aufs Tempo. Bis Ende 2025 sollen 20 Prozent der Verbraucher mit ihnen ausgestattet sein, 50 Prozent bis Ende 2028. Wieser: „Wenn sich die ersten Prozesse eingespielt haben, ist ein schneller Anstieg der Einbauzahlen zu erwarten, zumal sich die Betreiber zunächst auf die Quick-Wins konzentrieren werden.“ Wie komplex weniger einfache Fälle wirklich sein werden, weiß noch niemand. Genauso wenig, wie sich der Fachkräftemangel auf den Rollout auswirken wird. Dennoch glaubt Wieser: „Von heute aus betrachtet, erscheinen die festgelegten Ziele sportlich, aber machbar.“

Was das GNDEW für die verschiedenen Marktrollen bedeutet: 

Melanie Mannhart, Thüga-Kompetenzteam Vertrieb und Marketing

„Die jetzt beschlossene Aufteilung der Preisobergrenzen, bei der für Kleinverbraucher bis 6.000 kWh im Jahr 20 € für ein intelligentes Messsystem fällig werden, ist für Verbraucher attraktiv. Sie bedeutet praktisch keine Mehrkosten für die Verbrauchserfassung im Vergleich zu den bisherigen Messeinrichtungen. Gleichzeitig ermöglichen die intelligenten Messsysteme eine deutlich größere Transparenz, was den eigenen Energieverbrauch angeht. Von dieser besseren Übersicht über den eigenen Verbrauch sind allerdings erst im zweiten Schritt mögliche Einspareffekte zu erwarten. Dann nämlich, wenn Kunden mit intelligenten Messsystemen in Verbindung mit zeitvariablen oder dynamischen Tarifen ihren Stromverbrauch auf kostengünstige Zeiten verschieben können. Solche Tarife sind abhängig von Tageszeiten oder Preisschwankungen an der Strombörse.“

Christoph Fischer, Thüga SmartService GmbH

„Die moderne Messeinrichtung fungiert zusammen mit dem für die sichere Kommunikation zuständigen Smart Meter Gateway (SMGW) als technische Plattform für unterschiedliche Services. Die Grundfunktion dieses intelligenten Messsystems ist die Erfassung, Tarifierung und Kommunikation von Messwerten. Die Werte werden je nach Einbausituation über Mobilfunk, Breitband-Powerline oder Ethernet verschlüsselt übertragen. Zusätzlich zur flexiblen Erfassung des Verbrauchs von Strom, Gas oder auch Wasser ermöglicht das SMGW die Überwachung und Ablesung weiterer Sensoren wie Rauch- oder Wasserstandsmelder. Das erfolgt über externe Datensammler. Für diese Daten wird ebenfalls eine verschlüsselte Übertragung über die Backendsysteme ermöglicht. Aber auch Schaltvorgänge werden möglich. So lassen sich Einspeisung und Verbrauch dynamisch steuern, um netz- oder marktdienlich agieren zu können.“

Simon Rodler, Thüga Kompetenzteam Netzstrategie

„Wesentliche Vorteile der Einführung intelligenter Messsysteme liegen auf der Betreiberseite des Stromnetzes. Durch echte Netzdaten, die je nach Konfiguration in sehr kleinen Zeitabständen übermittelt werden können, kann der Betreiber den Netzbetrieb optimieren und die Netzplanung datengetrieben auf den echten Bedarf ausrichten. Eine netzdienliche Flexibilitätsnutzung wird möglich. Der Um- und Ausbau der Verteilnetze kann auf das notwendige Maß beschränkt werden. Dass der Netzbetreiber dabei zukünftig einen wesentlichen Teil der Entgelte für den Messstellenbetrieb trägt, ist in Ordnung. Sicherzustellen ist jedoch, dass die Kosten regulatorisch anerkannt und über die Netzentgelte vereinnahmt werden dürfen.“

 

Johannes Wieser, Smart Metering-Experte im Thüga-Kompetenzteam Technik

„Die Liberalisierung des Messwesens soll den Wettbewerb im Bereich der intelligenten Messsysteme fördern. Kundinnen und Kunden können so neben dem Energielieferanten auch den Anbieter für die Services rund um die Messstelle frei wählen. Der Messstellenbetreiber ist verantwortlich für die Installation, Wartung und Ablesung der Messgeräte sowie die Übertragung der Daten an den Energieversorger. Ob die aktuell festgelegten Preisobergrenzen die tatsächlichen Kosten für die Etablierung der Messinfrastruktur hinreichend abdecken, bleibt abzuwarten. 2024 ist eine Revision der Preisobergrenzen und der damit einhergehenden Kostenverteilung vorgesehen. Darüber hinaus können die Betreiber auf Basis der intelligenten Messsysteme neue Service-Modelle entwickeln. Derzeit ist zu erwarten, dass viele Energielieferanten, aber auch neue Marktakteure wie Telekommunikationsanbieter Leistungen im Messwesen anbieten werden. Insbesondere das Kundensegment mit Verbräuchen über 20.000 kWh im Jahr erscheint attraktiv.“