Seit Januar hat die Thüga einen neuen Vorstandsvorsitzenden und eine neue Finanzvorständin. Im Interview sprechen Dr. Constantin H. Alsheimer und Anne Rethmann über den Reiz ihres Wechsels zur Thüga, den anstehenden Strategieprozess und andere Herausforderungen.

Herr Dr. Alsheimer, Sie kennen und begleiten die Thüga bereits seit vielen Jahren und sind in der Thüga-Gruppe bestens vernetzt. Seit Januar 2024 sind Sie nun Vorstandsvorsitzender der Thüga. Wie beurteilen Sie ihre Entwicklung in den vergangenen drei Jahren?

Dr. Constantin H. Alsheimer, Vorsitzender des Vorstands der Thüga
@ASTRIDOBERT

Dr. Constantin H. Alsheimer: Hinter uns liegen drei herausfordernde Jahre. Zuerst die Corona-Pandemie, anschließend der russische Angriff auf die Ukraine. In dieser Zeit haben die Energiewirtschaft insgesamt und die Thüga mit ihren Partnerunternehmen im Besonderen schnell und flexibel reagiert und so die Versorgungssicherheit durchgehend gewährleistet. Dabei haben sie eine rasante Lernkurve durchlaufen und einen enormen Digitalisierungsschub vollbracht. Die extremen Preisanstiege infolge des Gaslieferstopps durch Russland haben die Risikopositionen in den Unternehmen massiv verändert, auch darauf hat sich die Thüga-Gruppe hervorragend eingestellt. Und zuletzt hat die Umsetzung der staatlichen Preisbremsen für die IT und die Vertriebe der Energieversorgungsunternehmen eine große Kraftanstrengung bedeutet. Das alles hat Thüga, hat die Thüga-Gruppe sehr gut gemeistert.

Welche Akzente wollen Sie in Ihrer Amtszeit setzen? Welche Ziele steuern Sie an?

Dr. Constantin H. Alsheimer: Konkrete Ziele möchte ich erst nach Abschluss unseres Strategieprojekts „Horizonte 2030“ benennen. In den kommenden Monaten werden wir noch stärker herausarbeiten, an welchen Stellen wir als Gruppe näher zusammenrücken können und müssen. Jeder Aspekt, der für die Geschäftsmodelle der Stadtwerke und davon abgeleitet für die Thüga Holding und unsere starke Gemeinschaft wichtig ist, kommt auf den Tisch. Dann gilt es zu erarbeiten, wo die Thüga Mehrwert und Unterstützung für diese Gemeinschaft organisieren oder selbst erbringen kann. Ob das über Dienstleistungen, Beratung, Gesellschaften oder über Kapital geschieht, stellen wir in einem umfassenden Strategie-Review auf, der im Herbst beendet sein soll. Unsere Gesellschafter, Partnerunternehmen und Belegschaft brauchen Klarheit, wohin sich die Thüga entwickeln wird und wie sie auf die Herausforderungen unserer Branche reagieren will.

Anne Rethmann, Finanzvorständin der Thüga
@ASTRIDOBERT

Anne Rethmann: Mein Ziel als Finanzvorständin ist klar. Viele Stadtwerke müssen insbesondere im Rahmen der Kommunalen Wärmeplanung ihren Weg definieren, wie sie zur Dekarbonisierung des Wärmesektors beitragen. Viele konkrete Investitionen werden sich in den nächsten Jahren zeigen. Ein Erfolg wäre für mich, wenn wir sicherstellen, dass die Ertragskraft, die Fremdfinanzierungsfähigkeit gegeben ist. Unser Ziel muss es sein, einen Großteil der Investitionen, die auf die Stadtwerke zukommen, entsprechend abzusichern und damit einen langfristigen Investitionspfad einzuschlagen.

Was reizte Sie an einem Wechsel zur Thüga, auf welche Aufgaben freuen Sie sich, Frau Rethmann?

Anne Rethmann: Verlässliche, bezahlbare und nachhaltige Energie – ich bin dankbar, an diesen Zielen mitarbeiten zu können. Dass ich hierfür die transformatorischen Aspekte und die finanzwirtschaftlichen Anforderungen einbringen kann, bewegt mich persönlich sehr. Wir leben in Zeiten, in denen wir nicht immer wissen, was morgen passiert. Das bleibt herausfordernd, aber ich denke, die Energiewirtschaft kann sich trotz aller regulatorischen Einschränkungen noch mehr zutrauen, um in einem freien Markt zu agieren und sich verändernden Rahmenbedingungen stärker auszusetzen. Die Thüga hat extrem viel Fachkompetenz und durch ihr Gesellschaftermodell Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, unterschiedliche Interessen zu vereinen und Wege für die Weiterentwicklung in diesem komplexen System abzubilden. Das macht mich zuversichtlich.

Herr Dr. Alsheimer, Sie plädieren für Energiewende mit Augenmaß. Sind die energiepolitischen Ziele zu ambitioniert? Was muss getan werden, damit die Akzeptanz der Bevölkerung für die Energiewende nicht bröckelt?

Dr. Constantin H. Alsheimer: Die Akzeptanz hängt von den drei Punkten des energiewirtschaftlichen Dreiecks Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit ab. Jede einseitige Überstrapazierung führt zu Fehlentwicklungen, diese führen wiederum zu Kritik in der Gesellschaft. Die politische Maßgabe müssen anspruchsvolle, aber machbare Ziele sein, mit klugen Zwischenzielen und in der richtigen Reihenfolge. Denn jedes überzogene Ziel, das wieder einkassiert werden muss, ist ein Rückschlag. Beim Gebäudeenergiegesetz (GEG) habe ich sehr früh darauf hingewiesen, dass die Wärmeentwicklungspläne der Kommunen die führende Größe sein müssen. Sie bestimmen, in welchem Stadtteil welcher Energieträger und welche Heizungsart verwendet werden sollen. Ein überholendes Gesetz, nämlich das GEG, kann ohne diese Grundlage nicht optimal sein und muss die Menschen eher irritieren.

Anne Rethmann: Das Erklären gehört unbedingt dazu: Warum tun wir Dinge, was wollen wir erreichen? Bei gesetzten Zielen sollten alle beteiligten Personen die Möglichkeit haben, verschiedene Wege zu beschreiten und nicht dogmatisch vorzugehen. Diese Offenheit und Ehrlichkeit schaffen eine Identifikation mit den Zielen – das finde ich wichtig.

Anne Rethmann (Mitte) und Dr. Constantin H. Alsheimer (rechts) im Gespräch mit Dr. Detlef Hug (links), Leiter Öffentlichkeitsarbeit bei Thüga.

Was bedeutet der Claim „Das große Plus der Gemeinschaft“ für Sie persönlich?

Anne Rethmann: Das große Plus der Gemeinschaft heißt für mich, sich nicht auf die Unterschiede, sondern auf die Gemeinsamkeiten zu fokussieren und komplexe Themen wie Digitalisierung zusammen anzugehen. Das bedeutet, gemeinsam Lösungen zu finden, Kompromisse zu schließen und fürs Bestmögliche zu kämpfen. Diese gemeinsamen Lösungen müssen dann zu entsprechenden Skaleneffekten führen, sonst wären sie keine wirkliche Bereicherung für die einzelnen Unternehmen.

Dr. Constantin H. Alsheimer: Ich bin der festen Überzeugung, dass man in dieser kapitalintensiven und sehr kompetitiven energiewirtschaftlichen Situation im Grunde überhaupt nur gemeinschaftlich bestehen kann. Aus der Diskussion in der Thüga-Gruppe resultieren die besten Lösungen. Risiken zu tragen und Skaleneffekte zu erreichen, geht in einer starken Gemeinschaft besser. Deshalb ist diese Gemeinschaft die wertvollste Ressource, die wir in der Gruppe haben. Das ist ein Schatz! Dieser Gemeinschaft steht die Dezentralität der Stadtwerke gegenüber. Regionale Unternehmen können individueller und besser auf die Kundenbedürfnisse in den Regionen eingehen. Deshalb sehe ich diese dezentralen Strukturen eingebettet in die starke Gemeinschaft als das große Plus.

Wie erleben Sie die Gespräche vor Ort in den Thüga-Partnerunternehmen?

Anne Rethmann: In den Unternehmen, die ich inzwischen besuchen konnte, erlebe ich die Gesprächspartner als extrem kompetent und verwurzelt in ihren Regionen und Unternehmen, zudem als sehr engagiert, mit der Thüga zusammen an einer Weiterentwicklung der Gruppe zu arbeiten. Den kritischen, aber erfolgsorientierten Dialog und die Offenheit empfinde ich als sehr angenehm. Dazu kommt die Herzlichkeit, das will ich als Neue in der Branche ergänzen, mit der ich vor Ort empfangen werde.

Geht Ihnen das auch so, Herr Dr. Alsheimer?

Dr. Constantin H. Alsheimer: Ja. Für mich ist das allerdings kein Novum, sondern das Elixier, das die Arbeit in der Energiewirtschaft so interessant für mich macht. An der Schnittstelle von Politik und Wirtschaft kommt ein sehr heterogener Personenkreis zusammen, der hier diskutiert. Denn die Energiewirtschaft ist ein fundamentales Thema für die Gesellschaft, für die Umwelt, für junge Menschen und die Frage, wie sie ihre Zukunft gestalten können. Es geht außerdem um Daseinsvorsorge und deren Finanzierbarkeit. Hier liegt ein fundamentaler Unterschied zur klassischen Industrie. Es geht nicht nur um die bloße Gewinnerzielungsabsicht, sondern um sehr viel mehr.

Haben Sie Vorbilder, auch jenseits der Energiewirtschaft, die Sie in Ihrer Arbeit beeinflussen?

Dr. Constantin H. Alsheimer: Mich beeindruckt, wenn jemand einen Schritt beiseite macht und Entscheidungen gegen ein vermeintliches eigenes Interesse und im Sinne eines Unternehmens trifft. Mir gefällt es, wenn in der Politik, Gesellschaft und in Unternehmen Entscheidungen rechtzeitig und proaktiv fallen, nicht aus der Not heraus. Ich fand es immer reizvoll, Gruppen von Verantwortungsträgern hinter eine Entscheidung zu bringen. Letztlich führt niemand ein Unternehmen allein. Große Entscheidungen sind eine Team-Sache. Wenn es gelingt, viele Menschen hinter ein Thema zu stellen, ist das spannend und kann viel Kraft entwickeln.

Anne Rethmann: Ich habe kein persönliches Vorbild. Mir imponiert, wenn Geschäftsverantwortliche in der Lage sind, Situationen klar zu analysieren, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Ich habe immer bewundert, wenn Führungskräfte Fehler eingestehen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Lösungsfindung bewusst einbeziehen, ohne dabei die Zügel aus der Hand zu lassen. Generell halte ich Transparenz für sehr wichtig.