Udo Glatthaar, Oberbürgermeister von Bad Mergentheim und Vorsitzender des Thüga-Beirats, erklärt im Interview, wie herausgefordert Kommunen derzeit sind und wo ihre Stärken liegen.

Herr Glatthaar, wie sehr sind die Kommunen durch die Krisen gebeutelt?

Natürlich haben die Kommunen gelitten – erst durch die Lockdowns während der Pandemie und jetzt durch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs. Gleichzeitig haben sich die Städte als resilient erwiesen. Sie waren es, die während der Corona-Zeit die Schnelltest- oder die Impfzentren aufgebaut und verwaltet haben. Sie waren es, die das Material besorgt und es den Schulen ermöglicht haben, den Unterricht wiederaufzunehmen. Was uns in den letzten Monaten besorgt, ist die wachsende Angst der Menschen. Dass sie ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr zahlen, sich keinen Urlaub mehr leisten oder keine Wohnung mehr kaufen können. Es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem für manche das Leben in der Stadt zur Herausforderung wird.

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In den Zeitungen liest man von Bäderschließungen. Können wir künftig noch ins Freibad gehen?

Alle Kommunen wissen, wie wichtig Schwimmbäder für die Menschen sind, egal, ob es sich dabei um Frei- oder Hallenbäder handelt. Das haben wir spätestens während der Pandemie gelernt, als die Bäder geschlossen wurden und Kinder keine Schwimmkurse mehr besuchen konnten. Jedes Mädchen, jeder Junge, muss schwimmen lernen können, das ist lebensnotwendig! Fakt ist: Wo es Schwimmbäder gibt, versuchen Kommunen, sie auch zu erhalten und zu betreiben. Bad Mergentheim beispielsweise hat ein großes Kernstadtfreibad und zwei kleine Ortschafts-Freibäder. Als Kur- und Heilbäderstadt im wunderschönen Taubertal können wir es uns gar nicht leisten, keine Bäder und Thermen zu betreiben. Die Bäder stehen Vereinen und Schulen, ebenso wie Einheimischen und Gästen offen.

Viele Vereine und Kultureinrichtungen können nur überleben, weil sie von ihrer Stadt subventioniert werden. Bleibt uns das bunte Angebot erhalten?

Auf jeden Fall – und so gut es geht. Eine Stadt bleibt nur attraktiv für die Bewohner, wenn sie vielfältige Angebote machen kann. Sei es, dass sie für Sportvereine die entsprechenden Sportanlagen zur Verfügung stellt und betreibt, sei es, dass sie preiswerte Räumlichkeiten für Musik-, Theater, und Kulturvereine anbietet oder ihnen günstige Grundstücke zur Verfügung stellt, auf denen sie selbst bauen können. Deshalb glaube ich, dass Kommunen für ihre Bürgerinnen und Bürger Anker der Sicherheit und der Hoffnung sind.iStock

Welche Impulse müssen Kommunen grundsätzlich setzen, um attraktiv zu bleiben?

Bad Mergentheim als mittelgroße Stadt – die formale Kategorie lautet Mittelzentrum – hat den Anspruch, ihrer Bevölkerung eine intakte Infrastruktur zu bieten. Und zwar, wie es so schön heißt, von der Wiege bis zur Bahre. Angefangen also bei der Geburtsstation, der Kita, dem Kindergarten, der Schule, der Ausbildung, dem Job, den Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten, bis hin zum Altersheim und am Schluss dem Friedhof. Die ganze Lebenspalette wird von den Mittelzentren und ihren kommunalen Partnern abgebildet; die kleineren Ortschaften drum herum fahren ins Mittelzentrum für gewisse Dienstleistungen. Aufgabe der Kommune ist es also, dieses vielfältige Angebot aufrechtzuerhalten.

Welche Konzepte entwickeln Kommunen, damit ihre Bewohner gesund bleiben?

Wir haben in den letzten heißen und trockenen Sommern gemerkt, wie belastend das Wohnen in Städten sein kann. Der Deutsche Städtetag und nicht zuletzt die Thüga beschäftigen sich mit der Stadtentwicklung im Zeichen des Klimawandels. In Bad Mergentheim stehen Themen wie Entsiegelung von Flächen, eine stärkere Begrünung und lebendige Wasseroasen in unserem Nachhaltigkeitskonzept, ebenso wie die Frage, welche Materialien wir künftig beim Bauen verwenden.

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Das bedeutet, der Klimawandel beeinflusst bereits die Städteplanung?

Sowohl Hitzevorsorge als auch Starkregen- und gegebenenfalls Hochwasserschutz in den Städten sind ein interdisziplinärer Teil der Stadtentwicklung. Klar ist, dass wir in den Innenstädten mehr Wasser fließen lassen, mehr Bäume pflanzen und diesen bessere Überlebenschancen geben müssen. Wir setzen zum Beispiel die Schwammstadt um. Leider kollidieren solche Maßnahmen oft mit dem Wunsch, auf den infrage kommenden Plätzen auch Großveranstaltungen durchführen zu können. Das heißt, Kommunen müssen klug zwischen ökologischer Notwendigkeit einerseits und attraktiven öffentlichen Veranstaltungsflächen andererseits navigieren.

Mit welchen Herausforderungen kämpfen Kommunen?

Innenstädte leben davon, wie viele attraktive Aufenthaltsräume es für ihre Bürgerinnen und Bürger, Gäste und Nutzer gibt, welche Begegnungen dort möglich sind; ob es nette Cafés gibt zum Ratschen, eine Bibliothek zum Schmökern, eine Ruhebank neben dem plätschernden Brunnen oder einen Kinderspielplatz. Durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg hat es Einbrüche in der Infrastruktur gegeben: Zahlreiche Läden und Gastronomiebetriebe mussten schließen. Die große Frage vor Ort ist: Wie viel Prozent weniger Frequenz an Einkauf verträgt der Einzelhandel, wie viel Prozent weniger Gäste verträgt die Gastronomie, ohne in den Abwärtsstrudel zu geraten? Die Spannen sind sehr gering. Deshalb lautet die Gretchenfrage für die Bürgermeister: Wie viele Akteure können durchhalten, wie viele verlieren wir?

Wie gelingt es Kommunen, Menschen in die Stadt zu locken?

Wenn wir in Bad Mergentheim mit dem Handel und der Gastronomie reden, dann sagen sie unisono: Wir brauchen Parkmöglichkeiten. Und zwar solche, die nahe der Altstadt sind. Das heißt, wir müssen Parkhäuser und Parkflächen so organisieren, dass die Leute zu uns in die Altstadt reinkommen und ihren Einkauf machen können. Das ist ein Riesenthema bei uns. Es gilt: Je kleiner die Stadt, umso weniger sind die Menschen bereit, ein paar Schritte zu laufen. Das ist in einer Großstadt wie München komplett anders. Da nehmen es die Kunden in Kauf, vom Parkhaus zehn Minuten in die Innenstadt zu gehen.

Deutschlandweit fehlen Fachkräfte. Wie spüren das die Kommunen?

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Wir spüren und sehen an jeder Ecke: Nicht nur Industrie und Betriebe leiden unter Fachkräftemangel. Arbeitskräfte fehlen auch den Supermärkten, in der Gastronomie, vom Restaurant bis zum Fast-Food-Anbieter, den Arztpraxen, den Kindergärten, den Krankenhäusern oder den Pflegeheimen. Alle haben das gleiche Problem, überall sieht man Stellenanzeigen. Deshalb habe ich keine Angst vor Digitalisierung und Automatisierung: Im Moment können wir froh sein, wenn wir genügend Roboter und Maschinen bauen und ausstatten, damit sie uns große Mengen an Produktion und Verwaltung abnehmen.

Was brauchen Kommunen für die Transformation der Energieversorgung?

Erst einmal denke ich, dass die Kommunen auf einem guten Weg sind. Mein Wunsch wäre, dass wir längerfristige Förderprogramme bekommen, in denen die großen Themen umfangreich zusammengefasst sind und deren Fördertopf viele Milliarden umfasst, statt vieler Fördertöpfe im Millionenbereich, mit denen jeweils Einzelmaßnahmen gefördert werden. Was nutzt mir ein Förderprogramm, mit dem ich Verkehrsinseln am Ortseingang bauen kann, wenn das Geld für ein Gesamtkonzept fehlt. Wir müssen Kommunen auch entlasten, indem wir – neben dem wichtigen ÖPNV-Ausbau – wieder Umgehungsstraßen bauen und Straßen in Tunnel bringen. Denn damit würden wir für manchen Ort die Lebensqualität erhöhen und ökologisch etwas Gutes tun.

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Was benötigen Kommunen von der Politik, um erfolgreich die Energiewende in allen Bereichen umzusetzen?

Was wir dringend benötigen, sind realistische Ziele! Wenn ich mit Vertreterinnen und Vertretern aus den Parlamenten diskutiere, dann höre ich, dass man sich eben hehre Ziele stecken müsse. Und wenn man diese nicht erreiche, hätte man trotzdem einiges auf den Weg gebracht. Da habe ich meine Zweifel. Ich glaube, dass Menschen mehr motiviert sind, wenn sie die gesteckten Ziele erreichen können. Noch einmal: Wir Kommunen können dann etwas nachhaltig auf die Beine stellen, wenn wir wenige, dafür umfassendere und auf sieben bis zehn Jahre laufende Förderprogramme erhalten, die uns den Handlungsspielraum geben, auf uns zugeschnittene Maßnahmen zu erarbeiten.

Welche Themen sollten Ihrer Meinung nach stärker in den Vordergrund treten?

Worüber viel zu wenig geredet wird, ist beispielsweise was künftig mit unseren Gasnetzen passiert. Wir als Kommunen sind diejenigen, die die größten Netze besitzen. Die einen sagen, dass Gasnetze stillgelegt werden sollten, andere, dass man sie bestehen lassen soll, um künftig grünen Wasserstoff einzuspeisen. Mit der verpflichtenden Kommunalen Wärmeplanung müssen Städte entscheiden, in welchen Bebauungsgebieten sie welche Energieversorgung planen. Wie sollen sie beispielsweise in verdichteten Innenstädten mit Wärmepumpen arbeiten? Das funktioniert nicht. Da brauche ich Fernwärme, an besten Naturwärme, die ökologisch gesteuert ist. Ich vertrete den Ansatz, dass man alle Technologien unterstützt, die in Richtung erneuerbare Energien gehen, und sich nicht auf einzelne Energieträger fokussiert. Nur so können wir die Energieversorgung in den heterogenen Bebauungs-Strukturen in Kommunen lösen und die Wärmewende umsetzen.