von Eva Hennig, Leiterin Büro Brüssel // erschienen in e|m|w Energie. Markt. Wettbewerb, Ausgabe 3/2021

Um das ehrgeizige Klimaziel der EU für 2030 – eine Emissionsminderung von 55 Prozent gegenüber 1990 – zu erreichen, werden nach Angaben der EU-Kommission jährlich europaweit zusätzliche energiebezogene Investitionen in Höhe von 350 Mrd. Euro nötig sein. Damit diese Investitionen zukunftsgerichtet sind, hat die Kommission am 21. April die ersten Durchführungsbestimmungen im Rahmen der sogenannten „EU-Taxonomie“ festgelegt – ein EU-weites Klassifizierungssystem für nachhaltige Finanzprodukte.

Mit Hilfe der EU-Taxonomie können Investoren anhand von quantitativen und qualitativen Kriterien erkennen, welche Wirtschaftstätigkeiten als nachhaltig eingestuft werden. Es ist zu erwarten, dass diese Kriterien zukünftig auch für die Vergabe von Beihilfen, EU-Fördergeldern und Kofinanzierungen wichtig werden.

Die Taxonomie könnte besonders Stadtwerke und Kommunen auf ihren Weg hin zur Klimaneutralität unterstützen. Der schnellen und effizienten Dekarbonisierung von bestehenden Infrastrukturen kommt dabei eine besondere Rolle zu. Denn: Der Neubau von Anlagen und Netzen oder gar eine komplette Systemumstellung ist teuer und langwierig – ein Umbau hingegen schneller, kostengünstiger und daher leichter zu bewältigen.

Leider wird dieser Gedanke bislang in der Taxonomie zu wenig belohnt. Die Regeln für Bau und Betrieb von KWK-Anlagen und die Umstellung der Gasnetze auf dekarbonisierte Gase, wie Biomethan und Wasserstoff, sind noch bei zu vielen politischen Entscheidern von der Idee geleitet, dass die Elektrifizierung immer Vorrang hat und Wasserstoff für sehr wenige Industriekunden und den Mobilitätssektor reserviert ist. Dies widerspricht dem Prinzip der Technologieoffenheit und dem Streben nach einer kostengünstigen und sicheren Energieversorgung.

In Deutschland sind 99 Prozent aller Industriekunden an Gasverteilnetze angeschlossen – eine Umstellung auf Strom ist sowohl technologisch als auch aufgrund der Energiemengen quasi ausgeschlossen. Nicht das Gasnetz, Fernwärmenetz oder die Gasanwendung ist fossil, sondern maximal der Energieträger – und dieser kann dekarbonisiert werden.

Die Stadtwerke der Thüga-Gruppe haben sich längst auf den Weg in die Klimaneutralität gemacht. Dies beweisen die hohen Investitionen in KWK-Anlagen und die Umstellung von Kohle auf Gas. Zudem haben sie in den letzten 30 Jahren die Gasnetze sukzessive erneuert, wodurch sich die Methanemissionen drastisch reduziert haben und mit geringem Aufwand die Aufnahme von bis zu 100 Prozent Wasserstoff möglich ist.

Die neuen Klimaziele für 2030 und 2050 erfordern mehr Geschwindigkeit bei der Dekarbonisierung und damit Investitionen in allen Sektoren. Wir benötigen alle Infrastrukturen, um die Umstellung auf erneuerbare und klimaneutrale Energieträger zu bewerkstelligen. Die EU-Taxonomie kann diese Investitionen befördern, sofern sie Technologieentwicklungen zulässt.

Bis zum Sommer möchte die Kommission konkrete Nachhaltigkeitskriterien für den Gassektor erarbeiten und beschließen. Wir hoffen, dass diese ernsthaften Verbesserungen für den Bau von KWK-Anlagen und die schrittweise Dekarbonisierung der Gasnetze beinhalten. Ebenso sind Investitionen in neue Erzeugungskapazitäten auf der Basis von Gas wie Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die zukünftig auch klimaneutral betrieben werden könnten, in den kommenden Jahren unerlässlich. Denn ohne Investitionen in Übergangstechnologien ist ein industrieller und gesellschaftlicher Kraftakt von der Größenordnung des „EU Green Deals“ nicht zu bewältigen.