Thüga-Vorständin Anne Rethmann über die Entwicklung der Nachhaltigkeit im Thüga Holding-Konzern, die integrierte Strategie und ihr persönliches Verständnis von Nachhaltigkeit.

Frau Rethmann, Sie sind nun seit eineinhalb Jahren im Thüga-Vorstand und verantworten auch das Thema Nachhaltigkeit. Was waren für Sie in dieser Zeit Meilensteine? Für mich ist das kooperative Geschäftsmodell der Thüga in dieser Form einzigartig. Beeindruckt hat mich die hohe Fachkompetenz und das große Engagement unserer Mitarbeitenden beim Thema Nachhaltigkeit. Besonders gefreut hat mich, dass die Thüga bereits zwei freiwillige Berichte veröffentlicht hat – und nun zum vierten Mal in Folge eine sehr gute Note im Nachhaltigkeitsrating erreicht hat. Das ist eine gute Leistung für Thüga, ein wichtiges Signal für unsere Banken und Investoren als zentrale Stakeholder und nicht zuletzt auch eine Bestätigung für die Arbeit des gesamten Nachhaltigkeitsteams.

Was hat sich in Sachen Nachhaltigkeit bei der Thüga verändert – in Haltung und Umsetzung? Nachhaltigkeit ist heute integraler Bestandteil unserer Strategie. Im Strategieprozess „Horizonte 2030“ war Nachhaltigkeit ein zentrales Element. Daran zeigt sich schon: Wir sprechen nicht mehr von einer separaten Nachhaltigkeitsstrategie, sondern von einer nachhaltigen Unternehmensstrategie.

Gab es auf diesem Weg auch Stolpersteine? Ja, natürlich. Trotz aller Fortschritte bei der Dekarbonisierung der Stromversorgung ist gerade die Wärmeversorgung oft noch stark fossil geprägt. Das stellt viele Stadtwerke vor die Frage, wie sie ihr Geschäftsmodell nachhaltig transformieren und dabei gleichzeitig den wirtschaftlichen Erfolg sichern können. Dazu kommen externe Unsicherheiten: schwankende Energiepreise, geopolitische Konflikte, häufige Änderungen im regulatorischen Umfeld. Auch oder gerade in der Nachhaltigkeitsberichterstattung sind die politischen Rahmenbedingungen ein wichtiges Thema. Positiv ist, dass die EU hier Bürokratie abbauen will; weniger Kennzahlen bei der Berichterstattung bedeuten mehr Zeit für die Bearbeitung wichtiger Nachhaltigkeitsthemen.

In der öffentlichen Debatte erlebt Nachhaltigkeit zuletzt häufig Gegenwind. Wie nehmen Sie das wahr? Natürlich beobachten wir internationale Rollback-Tendenzen. Gleichzeitig gibt es auch positive Signale – etwa aus der EU, wo die neue dänische Ratspräsidentschaft klar auf einen grünen Übergang setzt. Als Thüga wollen wir uns nicht an kurzfristigen politischen Entwicklungen orientieren, sondern klar auf Kurs bleiben. Die drei Ziele des energiepolitischen Zieldreiecks, also Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit in Balance zu halten, bleibt für uns zentral.

Was können die Leserinnen und Leser vom neuen Nachhaltigkeitsbericht erwarten? Er liefert Kontinuität und Transparenz: Was haben wir seit dem letzten Bericht erreicht, welche Projekte laufen bei Thüga? Neu ist die doppelte Wesentlichkeitsanalyse. Durch sie haben wir gelernt, welchen Einfluss Nachhaltigkeits-Themen auf die finanzielle Situation der Unternehmen haben. Ebenfalls neu: unsere Klimastrategie mit klaren Netto-Null-Zielen bis 2045.

Sie haben die Wesentlichkeitsanalyse erwähnt. Welche Themen wurden darin als besonders relevant eingestuft? Wir haben in Summe 14 wesentliche Themen identifiziert und im Strategieprojekt fünf Schwerpunktthemen definiert. Diese sind: • Klimaschutz • Versorgungssicherheit • Digitalisierung und Cybersicherheit • Arbeitsbedingungen und Chancengleichheit • Materialwirtschaft und Lieferantenmanagement.

Wie positioniert sich Thüga beim Klimaschutz – trotz politischer Unsicherheit? Wir stehen klar hinter den deutschen und europäischen Klimazielen. In unserer neuen Klimastrategie haben wir Zwischenziele formuliert – insbesondere für Scope 1 und 2. Aber auch unsere Kunden und Partnerunternehmen wollen wir bei ihren Dekarbonisierungs-bemühungen unterstützen. Gehen wir noch ein bisschen tiefer ins Thema. Was ist das Besondere an der Dekarbonisierungsstrategie der Thüga? Als fest in der Energiewirtschaft verwurzelte Gesellschafterin wollen wir eine möglichst effiziente Dekarbonisierung im Thüga Holding-Konzern und bei unseren Beteiligungen erreichen – unter Berücksichtigung von Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit. Wir begleiten die Stadtwerke aktiv mit Beratung, Vernetzung, Datenanalysen und realistischen Zielbildern. Dabei stehen Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit gleichwertig neben Klimaschutz. Wir setzen auf marktwirtschaftlich orientierte Lösungen für eine effiziente, tragfähige Transformation. In der Thüga-Gruppe bündeln wir Kompetenzen, teilen Erfahrungen, schaffen Synergien – etwa bei der Entwicklung von Transformationspfaden. So unterstützen wir unsere Partnerunternehmen konkret und praxisnah – damit wir gemeinsam mehr erreichen.

Versorgungssicherheit ist ebenfalls ein zentrales Nachhaltigkeitsthema. Warum? Neben dem schon genannten energiepolitischen Zieldreieck umfasst auch das SDG 7 (Sustainable Development Goal) der UN den Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie. Ereignisse wie der spanische Blackout in diesem Frühjahr zeigen, wie sensibel unsere Systeme sind und was es im heutigen Leben bedeutet, wenn für einige Stunden die Stromversorgung nicht funktioniert. Man muss es zusammen denken: Ohne Versorgungssicherheit lässt sich auch kein Klimaschutz umsetzen.

Welche Akzente setzen Sie im Personal- und Gesellschaftsbereich? Unser Schwerpunkt liegt auf der Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit. Besonders wichtig ist mir eine größere Repräsentanz von Frauen in Leitungspositionen – Unternehmen verändern sich nur, wenn es Vielfalt in der Führung gibt.

Welche Rolle spielen Digitalisierung und Cybersicherheit? Digitalisierung ist für mich ein zentraler Enabler: Sie reduziert Ressourcenverbrauch und macht eine bessere Steuerung der Ressourcen möglich. Damit wird Digitalisierung ganz klar zum Gelingen der Energiewende beitragen. Cybersicherheit wiederum ist Teil unserer Resilienzstrategie – absolut wesentlich für uns als Unternehmen und für alle kritischen Infrastrukturen.

Zum Abschluss: Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie ganz persönlich, jenseits von Kennzahlen? Nachhaltigkeit ist für mich eine Haltung – als Mutter, als Bürgerin in Europa und als Vorständin der Thüga. Es geht darum, im eigenen Handeln Verantwortung zu übernehmen: für die Mitarbeitenden, für die Gesellschaft und für die natürlichen Lebensgrundlagen. Für mich ist Nachhaltigkeit kein Zustand, sondern ein Weg. Ich bin nicht dogmatisch und nicht perfekt, aber klar in der Ausrichtung. Viele kleine Schritte in eine Richtung – das ist für mich nachhaltiges Handeln..