Die finalen Festlegungen der Bundesnetzagentur (BNetzA) zum neuen Regulierungsrahmen NEST lassen noch auf sich warten – allerdings sind viele Folgen bereits abzusehen und die Erwartungen der Branche sind alles andere als freudig. Thüga-Regulierungsexpertin Yvonne Hartmann erläutert im Interview den momentanen Stand der Dinge.

Frau Hartmann, die gesamte Branche hat sich mit viel Energie in den NEST-Konsultationsprozess eingebracht. Mit Erfolg?

Yvonne Hartmann: Trotz zahlreicher Stellungnahmen und Expertengespräche mit der BNetzA haben wir den Eindruck, dass sachliche Argumente verhallen. Die Befürchtung ist, dass auch künftig Mindest-Renditen nicht erzielt werden, beziehungsweise nicht einmal eine annähernde Kostendeckung erreicht wird. Ursächlich dafür sind unzureichende OPEX-Budgets.

Wie nehmen Sie die Stimmung bei den Netzbetreibern wahr?

Das Vertrauen der Netzbetreiber in das Regulierungsregime ist meiner Ansicht nach erheblich geschwächt. Es entsteht der Eindruck, dass die BNetzA den Fokus darauf gelegt hat, die Netzkosten niedrig zu halten. Die Innenfinanzierungskraft der Netzbetreiber wird dadurch maßgeblich verschlechtert, der Netzausbau weiter verzögert. Und eine Verzögerung der Energiewende würde langfristige Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher nach sich ziehen.

Was genau kritisiert die Branche?

Die Herausforderungen für Netzbetreiber nehmen ab der fünften Regulierungsperiode deutlich zu. Insbesondere im Effizienzverfahren drohen unrealistische Verschärfungen und geringere Kostenbudgets erzeugen immensen Druck.

Das bedeutet…?

Einige Netzbetreiber sind bereits in der aktuellen vierten Regulierungsperiode schon weit von einer Kostendeckung entfernt. Diese Kosten können nicht in die Netzentgelte eingebracht werden. Mit der Folge, dass Netzbetreiber diese mit ihrer zugestandenen kalkulatorischen Verzinsung kompensieren müssen. Im schlimmsten Fall drohen sogar Verluste. Flächendeckend beobachten wir, dass die kalkulatorische Verzinsung, also der theoretische Gewinn im Netz, überwiegend aufgezehrt wird. Die kostenseitige Optimierung der Basisjahre ist daher wichtiger denn je. Anders gesagt: Es geht darum, zu retten, was noch zu retten ist.

Gibt es weitere Knackpunkte bei den geplanten neuen Rahmenbedingungen?

Der neue Regulierungsrahmen setzt die Zinsaufwendungen für Fremdkapital in den Netzentgelten pauschaliert an. Für alle Netzbetreiber wird es einen einheitlichen kalkulatorischen Fremdkapitalzins geben, woraus sich ein Fremdkapitalzinsbudget je Netzbetreiber ergibt. Dieses setzt dann den internen Benchmark. Netzbetreiber müssen sich mit ihren individuellen Fremdkapitalzinsen also dahingehend optimieren, allerdings kritisiert die Branche die Ermittlungssystematik der BNetzA. Ein zu niedriger pauschaler Fremdkapitalzins trifft vor allem kleinere Netzbetreiber, da sich diese sich auf den Kapitalmärkten zu schlechteren Konditionen als den Benchmark refinanzieren können.

Und die sich außerdem weiteren Nachteilen ausgesetzt sehen…

Ja. Denn mit den neuen regulatorischen Rahmenbedingungen bringt das vereinfachte Verfahren für kleinere Netzbetreiber kaum noch Vorteile, sondern verliert an Attraktivität. Sie sollten daher eine Teilnahme am regulären Verfahren prüfen. Thüga bietet in Zusammenarbeit mit der Beratungsfirma Polynomics eine Ermittlung des Effizienzwertes bei möglicher Teilnahme am regulären Verfahren an.

Können Netzbetreiber überhaupt noch gegensteuern?

Es gibt immer noch Spielraum, um zu optimieren. Vor allem gilt es, strategische Fehler im Basisjahr zu vermeiden, die sich auf eine gesamte Regulierungsperiode auswirken würden. Wir empfehlen, die Unterstützungsangebote der Thüga zu nutzen, wie Webinare, Checklisten für Basisjahre oder Planungstools. Das Basisjahr Strom steht 2026 an. Es ist wichtig, die Optimierung im Unternehmen organisatorisch als Projekt zu verankern – mit einem Lenkungskreis, um Verbesserungsmaßnahmen abteilungsübergreifend auch wirklich umsetzen zu können.

Gibt es noch weitere Auswirkungen von NEST?

Die BNetzA schreckt zum Beispiel auch nicht davor zurück, den Druck auf bestimmte Personalkosten zu erhöhen. Dadurch könnten sich die sozialen Standards in den Unternehmen verschlechtern. Dies erschwert es den Netzbetreibern, ihre Fachkräfte zu halten, von neuem Fachpersonal ganz zu schweigen. Die Tatsache, dass wir uns beim Personal nicht im regulierten Bereich, sondern im Wettbewerb befinden, wird hier gedanklich ausgeklammert. Und: Wo bleibt die Wertschätzung für die Menschen, die bei den Netzbetreibern die Energiewende vorantreiben?