Mithilfe eines digitalen Zwillings von Venios lassen sich Engpass-Szenarien im Niederspannungsnetz simulieren und Anschlussanfragen per Knopfdruck klären. Eine grundlegende Software zur Sicherung der Energiewende. 

Dieser Beitrag ist im Thüga Nachhaltigkeitsbericht 2025 erschienen. 

Wie ist die Ausgangsposition? 

In den Anfangstagen der Kapazitätsregelung – auch bekannt unter dem Begriff Redispatch 1 – war alles noch recht überschaubar: Es ging um wenige konventionelle Großkraftwerke mit einer Leistung von jeweils mehr als zehn Megawatt. Das betraf vor allem Übertragungsnetzbetreiber. 2021 brachte die Bundesregierung Redispatch 2 auf den Weg.

Im Zuge des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes sollte die Steuerung von Erzeugungsanlagen ab 100 Kilowatt gewährleistet werden; Windparks und größere Photovoltaikanlagen speisen vor allem in die Mittelspannungsebene ein. Damit waren die Verteilnetzbetreiber in der Pflicht, auch die Lastflüsse zu koordinieren. Das betraf etwa 100.000 Anlagen in Deutschland. Mit § 14a EnWG rücken alle steuerbaren Anlagen mit mehr als 4,2 Kilowatt Leistung in den Blick. „Hier reden wir von mehreren Millionen Anlagen, für die Last und Erzeugung entsprechend gemanagt werden müssen“, erklärt Mischa Geiger, Experte für das Netzmanagement in der Niederspannung bei Thüga Energienetze, die neue Dimension. „Ob große oder kleinere Anlagen – alle wirken auf dasselbe Netz ein. Um es verlässlich stabilisieren zu können, müssen wir die Vorgänge transparent machen und ganzheitlich denken. Das können wir Stand heute nur mit einem digitalen Zwilling.“ 

Was ist geplant, was soll geschehen? 

Ein digitaler Zwilling eines realen Netzes macht es möglich, eine Vielzahl von Lastszenarien zu simulieren. Dadurch lassen sich Niederspannungsnetze besser verstehen und der Ausbau gezielt planen. Andrey Luzhbin, bei Thüga Energienetze verantwortlich für die Stromnetze: „Das bedeutet zum Beispiel, dass ich eine Anfrage zum Anschluss einer 30-kWp-PV-Anlage mit wenigen Klicks beantworten kann, ohne komplexe Netzberechnungen anstellen zu müssen.“ Der digitale Zwilling zeigt mögliche Auswirkungen. Doch bevor er tadellos funktioniert und die Realität spiegelt, muss die Datenbasis stimmen. 

 In welchen Schritten verläuft das Projekt? 

Geiger: „Bei Einführung des Niederspannungsnetzmanagementsystems geht es vor allem um ein Datenbereinigungsprojekt.“ Allerdings sind die im Geoinformationssystem hinterlegten Daten in vielen Fällen nicht so detailscharf wie nötig. Hier muss oft nachgearbeitet werden. Verbrauchsdaten der betreffenden Netzabschnitte ergänzen diese Datenbasis. „Wer schon Messsysteme vor Ort verbaut hat, kann die Simulation weiter optimieren“, so Geiger. Sind alle Daten zusammengetragen, können sie in der Software von Venios implementiert werden. Hier finden sich alle Netzkomponenten, Verbraucher, Erzeuger und Speicher. 

Warum ist dieses Projekt wichtig, welche Bedeutung hat es? 

Immer mehr Erzeugungskapazität wird in der Niederspannung installiert. Zusammengenommen mit den Kapazitäten der Mittel- und Hochspannung, steigt dadurch der Steuerungsaufwand immens. Einmal sauber aufgesetzt, lässt der digitale Zwilling alle Instanzen so interagieren, dass sie die Vorgänge im realen Netz wiedergeben. Mit echten Wetter-, Erzeugungs- und Verbrauchsdaten gefüttert, können sie beispielsweise Warnungen ausgeben, bevor der Leistungsschalter eines Trafos im Feld wirklich auslöst. Deshalb ist auch das Einrichten eines kompletten, integrierten Benachrichtigungssystems innerhalb der Venios-Lösung sinnvoll. 

Wie geht es jetzt weiter? 

Thüga Energienetze bietet Netzbetreibern über einen Kooperationsvertrag mit Venios die Lösung als Software-as-a-Service-Paket an. Geiger: „Natürlich unterstützen wir die Partnerunternehmen bei der Einführung. In Radolfzell und Limburg sind sie schon auf gutem Weg bei der Einführung eines digitalen Zwillings. Als Projektlaufzeit lassen sich leicht ein bis zwei Jahre veranschlagen. Deshalb sollten Partnerunternehmen nicht mehr lange zögern“ – zumal die Einrichtung eines Zwillings nur der erste Schritt sein könne. Im Endausbau sollten laut Geiger Netzvorgänge komplett automatisiert ablaufen. 

 

Redispatch 

Der Begriff bezeichnet Maßnahmen zur Anpassung der Stromerzeugung, um Netzengpässe zu vermeiden oder zu beseitigen. Dabei greifen Übertragungsnetzbetreiber in die Einspeisung von Kraftwerken ein, indem sie die Leistung gezielt reduzieren oder erhöhen, um die Netzstabilität zu gewährleisten. 

Digitaler Zwilling – was ist das? 

Ein digitaler Zwilling ist ein Softwaremodell, das reale Objekte, Prozesse oder Systeme abbildet. Er spiegelt die wesentlichen Eigenschaften seines echten Gegenstücks wider. So können am Modell unterschiedliche Situationen ausprobiert, das Verhalten realer Pendants simuliert und vorhergesagt werden. Stromnetze können damit zum Beispiel effizient analysiert, gesteuert und ausgebaut werden.